Frankfurter Rundschau, 13.03.2003

Gerichtshof rügt Öcalan-Prozess

Verfahren gegen PKK-Chef verstieß gegen die Menschenrechte

Der Prozess in der Türkei gegen Kurdenführer Abdullah Öcalan im Jahr 1999 hat gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Öcalan habe bei seiner Verurteilung durch ein türkisches Sicherheitsgericht kein faires Verfahren erhalten, urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg am Mittwoch.

STRASSBURG, 12. März (dpa/ap/rtr). Nach Überzeugung der Straßburger Richter war das Sicherheitsgericht, das den Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK 1999 zum Tode verurteilte, nicht unabhängig, weil dem Gremium auch Militärrichter angehörten. Als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention rügte der Gerichtshof zudem, dass Öcalan nur vor Ohrenzeugen mit seinen Anwälten habe sprechen können und die Besuche seiner Rechtsvertreter an Zahl und Dauer begrenzt gewesen seien. Zudem hätten Öcalans Anwälte erst spät Einsicht in die Gerichtsakten erhalten. Das Todesurteil gegen den Kurdenführer müsse wegen dieser Umstände als unmenschliche Behandlung gewertet werden.

Insgesamt fünf Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention erkannte der Europäische Gerichtshof im Öcalan-Verfahren. So sei der PKK-Chef nach seiner Festnahme 1999 nicht unmittelbar einem Haftrichter vorgeführt worden, ein Haftbefehl erst viel später ausgestellt worden. Der Gerichtshof sprach den Verteidigern Öcalans 100 000 Euro Prozesskosten zu.

Beide Parteien haben nun drei Monate Zeit, Rechtsmittel gegen das Straßburger Urteil einzulegen. Der Richterspruch ist allerdings für die Türkei rechtlich nicht bindend. Nach Ansicht von Beobachtern erhöht sich dadurch aber der Druck auf Ankara, das Verfahren gegen den ehemaligen Kurdenführer neu aufzurollen.

Der türkische Außenminister Yasar Yakis sagte, selbst wenn Öcalan erneut vor Gericht müsse, würde das Urteil dasselbe bleiben. Der damalige Richter des Sicherheitsgerichts, Türgut Okyay, verwahrte sich gegen die Kritik aus Straßburg: "Unser Gewissen ist rein."

Ein türkisches Staatssicherheitsgericht hatte Abdullah Öcalan im Juni 1999 zum Tode verurteilt, weil er laut Anklage den 15 Jahre langen Aufstand der Kurden angeführt hatte, bei dem rund 37 000 Menschen getötet wurden. Im Vorjahr wandelte ein Gericht das Todesurteil um in eine lebenslange Haftstrafe, nachdem Ankara die Todesstrafe abgeschafft hatte. Der Kurdenführer sitzt als einziger Häftling auf der Gefängnisinsel Imrali fest.