FAZ.NET, 12.03.2003

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Urteil: Türkei verletzte die Menschenrechtskonvention

Das Gerichtsverfahren gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan in der Türkei hat in weiten Teilen gegen die Europäische Charta für Menschenrechte verstoßen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte am Mittwoch in Straßburg außerdem fest, dass der Kurdenführer keinen fairen Prozess gehabt hatte. Der Staatssicherheitsgerichtshof, der Öcalan im Sommer 1999 wegen „Separatismus und Hochverrats“ verurteilt hatte, sei kein „unabhängiges und unparteiisches“ Tribunal gewesen, befand die Große Kammer des Straßburger Gerichts.

Zudem beanstandeten die Richter die Todesstrafe, die zunächst gegen den Vorsitzenden der verbotenen Kurdenpartei verhängt worden war. Die Verurteilung zum Tode stelle eine „menschenunwürdige Behandlung“ dar, da der Verurteilte damit der Angst ausgesetzt werde, hingerichtet zu werden.Öcalans Anwälte bekamen von dem Gericht 100.000 Euro für die Prozesskosten zugesprochen. Die Türkei kann gegen den Spruch der Straßburger Richter Berufung vor der großen Kammer des Gerichtes einlegen.

Festnahme in Kenia war Rechtens

Die meisten Klagen Öcalans über unmenschliche Behandlung wurden dagegen vom Gericht zurückgewiesen. Der 53-Jährige Öcalan hatte Ankara vorgeworfen, seine Festnahme im Februar 1999 in Kenia habe gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung verstoßen. Der Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) war im Februar 1999 unter Zusammenarbeit von kenianischen Behörden und türkischen Sicherheitskräften in Nairobi festgenommen und in die Türkei gebracht worden. Darin sah der Gerichtshof keinen Verstoß gegen die Menschenrechtscharta.

Öcalan wurde im Juni 1999 zum Tode verurteilt. Er soll den 15-jährigen Aufstand der Kurden gegen die Türkei angeführt haben, der rund 37.000 Menschen das Leben kostete. Das Todesurteil wurde im November 1999 bestätigt und im Oktober 2002 nach der Abschaffung der Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt. Derzeit ist Öcalan der einzige Häftling auf der Gefängnisinsel Imrali.

Ankara kündigt Einspruch an

Die türkische Regierung hat sogleich Einspruch gegen das Straßburger Urteil angekündigt. Das meldete die halbamtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu nach Bekanntgabe des Urteils. Wenn dieser Einspruch keinen Erfolg haben sollte, hätte Öcalan nach den türkischen Gesetzen das Recht auf ein neues Verfahren vor einem türkischen Gericht.