yahoo, 12.03.2003, 14:24 Uhr

Türkei wegen Todesurteil für Öcalan gerügt

Die Türkei hat mit dem Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan gegen das Grundrecht auf einen fairen Prozess verstoßen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Der Staatssicherheitsgerichtshof, der Öcalan im Juni 1999 verurteilt hatte, sei kein "unabhängiges und unparteiisches" Tribunal gewesen. Öcalan habe eine Vollstreckung befürchten müssen; somit habe das Urteil auch eine "unmenschliche Behandlung" dargestellt. Die Türkei wurde angewiesen, die Prozesskosten in Höhe von 100.000 Euro zu tragen. Ankara kündigte Einspruch an.

Unfair war das Verfahren dem Urteil zufolge auch, weil Öcalan nach seiner Festnahme in Kenia durch türkische Agenten und seiner Verschleppung in die Türkei im Februar 1999 eine Woche ohne Richterbeschluss in Polizeigewahrsam verhört wurde. Während dieser Zeit durfte er keinen Anwalt sehen.

Nach seiner Einweisung in die Untersuchungshaft konnte Öcalan nur eingeschränkt und in Anwesenheit türkischer Sicherheitskräfte mit seinen Anwälten sprechen. Diese erhielten auch nur begrenzten Zugang zu den Prozessunterlagen. Dies habe die Verteidigung erschwert, rügten die Straßburger Richter. Am 29. Juni 1999 wurde der PKK-Chef wegen "Separatismus und Hochverrats" und Anführung einer "bewaffneten Armee" zum Tode verurteilt.

Der auf der Gefangeneninsel Imrali bei Istanbul in Isolationshaft eingesperrte Öcalan habe angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Verbrechen eine Vollstreckung des Urteils befürchten müssen, heißt es in dem Urteil weiter. Dies gelte umso mehr, als die Todesstrafe von einem Staatssicherheitsgericht verhängt wurde, dem zeitweise ein Militärrichter angehörte. Dass dieser "in letzter Minute" abgesetzt wurde, sei nicht geeignet, Zweifel an der Unabhängigkeit des Tribunals zu beseitigen. Öcalan auf diese Weise der Angst vor einer Hinrichtung auszusetzen, sei als unmenschliche Behandlung zu bewerten.

Sollte der Einspruch Ankaras zugelassen werden, wird das Urteil von der Großen Kammer des Gerichts überprüft. Wenn diese zu den gleichen Schlüssen gelangen sollte, hätte Öcalan nach türkischem Gesetz Anspruch auf ein neues Verfahren in der Türkei. Die Türkei hatte im vergangenen Sommer die Todesstrafe abgeschafft. Damit wurde Öcalans Strafe in lebenslange Haft umgewandelt.