Özgür Politika, 19.01.03

Isolation als letzte Offensive des Komplotts

von NURDOGAN AYDOGAN

Interview mit KADEK-Präsidialratsmitglied Cemil Bayik zur Isolierung des Vorsitzenden Abdullah Öcalan, den Angriffen des türkischen Staates auf das kurdische Volk im Rahmen des bevorstehenden Irak-Krieges sowie die entsprechende Rolle der HPG (Volksverteidigungskräfte) und des Volkes

- Am 15. Februar 1999 wurde Herr Öcalan im Rahmen eines internationalen Komplotts in die Türkei verschleppt. Was können Sie zu der Zeit sagen, die seitdem vergangen ist?

Bei dem internationalen Komplott handelt es sich um eine ungewöhnlich Kriegsform mit dem Ziel, unseren Befreiungskampf zu unterdrücken. Der mit diesem Komplott aufgezwungene Krieg ist nicht nur ungewöhnlich, sondern besitzt auch die Eigenschaft, alle Bereiche des Lebens zu umfassen. Eine Kriegsform, in der psychologische, politische, militärische, diplomatische, wirtschaftliche und soziale Dimensionen ineinander übergehen und die gleichzeitig Kontinuität aufweist. Dieser Krieg wurde gegen unseren Vorsitzenden begonnen und er intensiviert sich in seiner Person. Vor allem gewinnt dabei die psychologische Dimension an Bedeutung.

Dass unser Vorsitzender in Gefangenschaft geraten ist, darf den Mut zum Kampf unserer revolutionären Kräfte und unseres Volkes nicht brechen. Dieser Punkt ist von besonderer Wichtigkeit. Mit der Gefangenennahme unseres Vorsitzenden, der nach Meinung der am Komplott beteiligten Kräfte unseren Befreiungskampf in jeder Minute geprägt hat, sollte die Moral der Befreiungsbewegung zerstört werden. Anstatt der Überzeugung zu siegen, sollte bei allen das Fühlen und Denken vorherrschen, dass die Niederlage Schicksal ist. Damit sollte die Vernichtung der Befreiungsbewegung eingeleitet werden. „Wenn das Gefühl der Niederlage die Übermacht gewinnt, erledigt sich der Rest von allein“. Das war die Logik der am Komplott beteiligten Kräfte. Dabei stützten sie sich auch auf die Geschichte des kurdischen Volkes, in der Aufstände stets mit Niederlagen geendet haben. So betrachtet lässt sich feststellen, dass der Komplott in erster Linie einer psychologischen Kriegsführung entsprach. Der psychologischen Dimension wurde mehr Gewicht beigemessen als der militärischen. Die militärische Dimension des Komplotts wurde zweitrangig auf der Tagesordnung gehalten.

Mit den militärischen Angriffen der Türkei und der PUK wurde die militärische Dimension aufgebaut. Auch die politischen Angriffe verloren in der Zeit des Komplotts nichts an Intensität. Es wurden große Anstrengungen aufgebracht, um uns jede Arbeitsmöglichkeit zunichte zu machen und mit allen möglichen Methoden unseren Kader und unsere Massen vom Kampf abzubringen. Mit Verhaftungen, dem Kaufen von Menschen und Antipropaganda haben die politischen Angriffe in der Zeit des Komplotts an Kontinuität gewonnen. Eine weitere Dimension betrifft den Bereich des sozialen Lebens. Für das Ziel, die Befreiungsbewegung aufzulösen, haben jegliche ethischen gesellschaftlichen Werte an Gültigkeit verloren. Die herrschenden Kräfte und die kurdische Reaktion versprachen unseren Kadern und KämpferInnen ein blühendes soziales Leben im Gegenzug dazu, den Kampf aufzugeben. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet fanden Angriffe statt, um die Finanzierung unseres Kampfes zu unterbinden. Im Rückblick wird deutlich, dass es sich beim internationalen Komplott um einen vieldimensionalen Angriff gehandelt hat.

- Wie lässt sich die in den letzten Monaten verstärkte Isolierung von Herrn Öcalan erklären?

Die verstärkten Isolationshaftbedingungen unseres Vorsitzenden haben in einer Zeit eingesetzt, in der die Vorbereitungen einer Irak-Intervention abgeschlossen werden. Mit Sicherheit besteht ein Zusammenhang zwischen der verschärften Isolation und der Intervention. Sowohl in der Vorwahlzeit wie auch jetzt zum Thema Irak-Intervention geht es im Kern der Sache darum, zu verhindern, dass unser Vorsitzender Einfluss ausübt. Sowohl durch die Wahlen als auch durch die Intervention entstehen ganz neue Bedingungen. Einhergehend mit den Wahlen sind in der Türkei ernsthafte Veränderungen aktuell geworden. Die grundlegenden politischen Kräfte des Regimes sind dabei überwunden worden. Mit der Isolierung unseres Vorsitzenden während der Vorwahlzeit wurde bezweckt, einen Erfolg der demokratischen Kräfte zu verhindern. Nach den Wahlen sollte eine Entwicklung dieser Kräfte verhindert werden. Die Isolation wird angewendet, damit unser Vorsitzender nicht auf die Entwicklungen einwirken und ihnen Richtung geben kann, und um einen Erfolg der demokratischen Kräfte aussichtslos zu machen.

Die geplante Intervention der USA gemeinsam mit ihren Verbündeten wird in der ganzen Region neue Bedingungen schaffen. Es wird dabei auch die Gelegenheit für das kurdische Volk entstehen, seinen Kampf zum Erfolg zu bringen. Um eine erfolgreiche Entwicklung des demokratischen Befreiungsprozesses unter diesen Bedingungen zu verhindern, um sie zu vernichten, ist die Isolation unseres Vorsitzenden verschärft worden, damit er nicht auf die Phase einwirken kann. Damit wird bezweckt, die Interventionsbedingungen gegen uns zu wenden und unseren Befreiungskampf zu unterdrücken, eine Entwicklung zu verhindern und sie letztendlich zu vernichten.

Die Türkei will vermeiden, dass unser Vorsitzender der Befreiungsbewegung richtungsweisende Perspektiven gibt. Dabei wird sie von der kurdischen Reaktion und internationalen imperialistischen Kräfte unterstützt. Wenn es nach ihnen geht, soll unser Kampf ohne eine der Zeit entsprechende Perspektive unter den neu entstehenden Bedingungen vernichtet werden. Beim Eintritt in die Interventionsphase gilt die Herangehensweise, den KADEK außen vor zu lassen. Die internationalen Kräfte, die Türkei und andere herrschende Staaten gehen dabei im Bündnis mit der kurdischen Reaktion vor. In der Planung der genannten Kräfte ist enthalten, dem KADEK in der ersten Phase der Intervention jeden Einfluss zu nehmen, um ihn in einer späteren Phase vollständig zu vernichten. Hauptzweck der Isolation ist es dabei, die Verbindung zwischen unserem Vorsitzenden mit der Befreiungsbewegung zu kappen, um die notwendige Atmosphäre zu schaffen. Wir können somit sagen, dass wir mit einer dritten Offensive des internationalen Komplotts konfrontiert sind.

- Können Sie das noch ein bisschen weiter ausführen?

Die am Komplott beteiligten Kräften haben eine dritte Angriffsoffensive eingeleitet, weil sie mit der ersten und zweiten Offensive keine Resultate erzielen und die Entwicklung unseres Befreiungskampfes nicht stoppen konnten. Die Isolation unseres Vorsitzenden kann als Vorbereitung auf diese Angriffsoffensive betrachtet werden. Die Isolation sollte also nicht als die Vervollständigung des halb vollendeten Komplotts angesehen werden, sondern als den Beginn eines neuen Angriffes, mit dem der erfolglos gebliebene Komplott dem Erfolg zugeführt werden soll. Denn es kann nicht davon gesprochen werden, dass der Komplott zur Hälfte ein Resultat erzielt hat. Wenn in der Vernichtung des Befreiungskampfes ein Teilerfolg zu verzeichnen wäre, könnte man sagen, dass der Komplott halbwegs erfolgreich war. Dann hätten wir den mit der Isolation eingeleiteten Angriff als Vervollständigung des halb durchgeführten Komplotts bezeichnet. Aber die am Komplott beteiligten Kräfte haben bis heute keine ernsthafte Entwicklung in der Vernichtung unseres Kampfes verzeichnen können.

In den Jahren 1999 und 2000 wurde die erste Angriffsoffensive abgewehrt. Auch der mit Spezialkriegsmethoden geführte Angriff in den Jahren 2001 und 2002 brachte keine ernsthaften Ergebnisse. Die Anwendung der Isolation kann dementsprechend als dritten Angriff des erfolglosen Komplotts betrachtet werden. Wir denken, dass es sich dabei um die letzte Offensive handelt. Wenn wir darauf antworten, indem wir uns für unseren Vorsitzenden einsetzen und ihn verteidigen, und damit diesen neuen Angriff wirkungslos machen, dann werden die Entwicklungen zeigen, dass der halb vollendete Komplott nicht vervollständigt werden wird, sondern der bisher erfolglos verlaufende Komplott vollständig erfolglos bleibt. Wichtig ist es in diesem Moment, die Kraft und Fähigkeit zu zeigen, mit der die neue Angriffsoffensive ins Leere geführt wird.

Die am Komplott beteiligten Kräfte haben ihren dritten Angriff in einer sehr sensiblen Zeit eingeleitet, in der es um eine Irak-Intervention geht. In einer solchen Phase, in der große Umwälzungen stattfinden werden, ist es die wirkungsvollste Vorsichtsmaßnahme, darauf vorbereitet zu sein, jede Art von Kampf zu führen. Eine erfolgreiche Antwort auf politischem, militärischem, diplomatischem u.a. Gebiet kann den mit der Isolation eingeleiteten Angriff ergebnislos enden lassen. Noch wichtiger ist, die Entwicklung unseres Kampf aus der Routine heraus zu bringen und eine Offensive nach der nächsten durchzuführen. Die letzte Offensive des Komplotts kann nicht mit gewöhnlichen Bemühungen abgewehrt werden, sondern nur mit außergewöhnlichem Einsatz. Ansonsten kann es zu zerstörerischen Resultaten kommen.

Die erste Offensivphase des Komplotts fand 1999 bis 2000 statt. Dabei wurde eine Art und Weise angewandt, die psychologische, politische, militärische, soziale und wirtschaftliche Dimensionen umfasste. Diese sehr intensiven Angriffe wurden auf der Grundlage der von unserem Vorsitzenden vorgesehenen neuen Strategie und Taktik und unter der Führung unserer Partei von unserem Volk abgewehrt. Ziel des Komplotts war es, die Befreiungsbewegung zu vernichten. Die revolutionären Kräfte sollten zerstreut und die Unterstützung des Volkes gekappt werden. Gegen Ende der ersten beiden Jahre wurde deutlich, dass diese Rechnung nicht aufging. Weder die revolutionären Kräfte haben sich aufgelöst, noch wurde die Unterstützung des Kampfes durch das Volk weniger. Die Verbundenheit zum Vorsitzenden wurde stärker, die Beteiligung der revolutionären Kräfte und des Volkes am Kampf auch. Aus diesem Grund kann nicht davon gesprochen werden, dass das Ziel des Komplotts erreicht worden sei. Deshalb wurde die zweite Angriffsphase eingeleitet. Unter der praktischen Koordinierung der PUK starteten die internationalen Kräfte, die Staaten, die über Kurdistan herrschen, sowie die kurdische Reaktion einen zweiten Angriff. Dieser Spezialkrieg, der sich in Form einer Zusammenarbeit der Geheimdienste entwickelte, war mindestens ebenso gefährlich wie die vorherige Phase des Komplotts. Die Angriffsformen dieses Spezialkrieges lassen sich folgendermaßen auflisten:

a- Eine Dimension des Spezialkrieges war es, die Führung des Befreiungskampfes zu vernichten, sie mit Anschlägen zu töten, durch Entführungen gefangen zu nehmen und durch auf Überläufer gestützte Propaganda unglaubwürdig zu machen. Solche Initiativen hat es vielfach gegeben. Aufgrund der zuvor gefassten Vorsichtsmaßnahmen blieben sie jedoch ergebnislos.

b- Eine weitere Dimension betraf die intensiven Bemühungen, über Familien und weitere Wege unsere Kader und Guerillakräfte zum Ausstieg zu bewegen. Diese Bemühungen erreichten Anfang 2002 ihren Gipfel.

c- Eine weitere Taktik bestand darin, Unsicherheit zu erschaffen. Dafür wurden von Mord bis zu erlogenen Nachrichten alle Methoden angewandt.

d- Desweiteren wurde versucht, die Verbindung zwischen den verschiedenen Gebieten des Kampfes zu unterbrechen. Dies wurde verhindert, indem unsere Kräfte von einem Ort an einen anderen Ort wechselten.

e- Die Maßnahme der EU, die PKK auf die „Terrorliste“ zu setzen, war ein sowohl psychologischer als auch politischer Angriff. Es war die Antwort auf die Gründung des KADEK.

Die letzten beiden Jahre können als Fortsetzung des Komplotts mit besonderen Kriegsmethoden bezeichnet werden. Mit dem Spezialkrieg sollte verhindert werden, dass unser Kampf gestützt auf den demokratischen Serhildan eine neue Phase erreicht. Zu den Zielen zählte auch die Vernichtung des Kampfes. Auch wenn der Spezialkrieg zum größten Teil ergebnislos geblieben ist, so hat er sich doch negativ auf die Entwicklung des Kampfes ausgewirkt, weil wir nicht rechtzeitig und ausreichende Maßnahmen getroffen haben. Dass keine größere Entwicklung stattgefunden hat, lässt sich mit den Auswirkungen des Spezialkrieges erklären. Unser Kampf gegen den Spezialkrieg hat innerhalb der Maßstäbe der vergangenen Phase stattgefunden. Die Besonderheit des neuen Angriffes war nicht sofort begriffen worden, somit konnten auch keine wirkungsvollen Maßnahmen dagegen getroffen worden. Als später der Kern der Angelegenheit begriffen wurde, wurden auch Maßnahmen getroffen, die einigen Schaden abwenden konnten. Festzuhalten bleibt, dass die Tendenzen des Spezialkrieges in großem Ausmaß überwunden sind, trotzdem immer noch solche Angriffe stattfinden.

In einer Zeit, in der die Irak-Intervention auf der Agenda steht, hat der Spezialkrieg an Geschwindigkeit nachgelassen. Möglich ist jetzt eine neue Angriffswelle. Ebenso, wie es zu der Möglichkeit einer Lösung kommen kann, können wir auch mit einem großen Vernichtungskrieg konfrontiert werden. Deshalb müssen wir sowohl auf eine politische Lösung als auch auf einen Vernichtungskrieg vorbereitet sein.