Süddeutsche Zeitung, 29.08.2002

Kamerad Computer

Größtes US-Manöver der Geschichte mit echten und virtuellen Soldaten

Amerika übt Krieg, modern und bombastisch wie nie zuvor, und das ausgerechnet jetzt, wo zunehmend über einen Angriff der USA auf den Irak debattiert wird. Millennium Challenge 2002, kurz MC’02, heißt der größte Militärtest in der US-Geschichte, der vor wenigen Tagen begann und bis zum 15. August dauert. Bei MC’02 gebe es zwar keinen richtigen Feind, sagen die Generäle, aber es werde ein reales Feindesland mit realen Zielen simuliert. Welches es ist, bleibt Staatsgeheimnis. Der Oberbefehlshaber der Übung, General James Smith, sagt nur, es sei ein Land wie Afghanistan, aber mit einem stärkeren Militär – der Irak jedenfalls sei es nicht.

Aus der schweren, mechanisierten Truppe, die darauf ausgerichtet war, gegen die UdSSR zu kämpfen, soll mehr und mehr eine mobile High-Tech- Truppe werden, die schnelle Schläge gegen jede mögliche Art von Feind austeilen kann. In erster Linie geht es um genauere Informationen, um raschere, intelligentere Entscheidungen der Generäle. Millennium Challenge 2002 soll eine ganzheitliche Kriegspolitik erproben.

Die US Joint Forces of Command, die vereinigten Streitkräfte, wollen dazu ein computergesteuertes Informationssystem nutzen, das unterschiedliche Daten aus Heer, Marine, Luftwaffe und Diplomatie abgleicht und simultan nutzbar macht, in so genannter Echtzeit. Bisher hätten die Einsatzkräfte 90 Prozent ihrer Zeit damit verbracht, Informationen zu sammeln und mühsam zu verarbeiten, jeder für sich, sagt General Smith. Das neue System biete die Chance, dass alle Informationen von Beginn an allen gleichzeitig zur Verfügung stünden. „Im Persischen Golf hat es uns mehrere Monate gekostet, bis alle Soldaten stationiert und die nötige Logistik aufgebaut waren“, erinnert Tony Billings, Sprecher des US-Generalstabs, an den Golf-Krieg. „Die neuen Konzepte sollen helfen, die Vorbereitungszeit drastisch zu verkürzen und die Streitkräfte so zu positionieren, dass sie schnell und entscheidend im Zentrum des Feindes zuschlagen können.“

Das Computernetz, das MC’02 steuern soll, spannt sich über das ganze Land, von Rhode Island bis Kalifornien. 55Mitglieder des US- Generalstabs in Suffolk, Virginia, leiten den Einsatz, an dem 13500 Soldaten aus Heer, Marine und Luftwaffe teilnehmen. Das Kriegsgebiet konzentriert sich auf das Gebiet zwischen Kalifornien und der Gegend um Las Vegas. Die Truppen sollen einen zahlenmäßig übermächtigen Feind bezwingen, der die Zugangswege nach Los Angeles und San Diego besetzt. Die übrigen Kriegshandlungen werden am Computer simuliert – mit etwa 70000 virtuellen Soldaten.

Im Blickpunkt des Manövers stehen auch der Umgang mit Massenvernichtungswaffen, der Städtekrieg, humanitäre Hilfseinsätze sowie Waffen, die gegenwärtig noch entwickelt werden und vielleicht 2007 tatsächlich zur Verfügung stehen. Das neue Jagdflugzeug F-22 Raptor soll in der Simulation ebenso eingesetzt werden wie die Transportmaschine CV-22 Osprey, eine Art Mischung aus Flugzeug und Hubschrauber. Ent scheidend für den Sieg beim Manöver und bei künftigen Konflikten aber wird vor allem der Informationsvorsprung sein. „Es geht um die gleiche Frage wie bei Zorro“, sagt David Ozolek, stellvertretender Direktor für das Experiment, „alle haben das gleiche Schwert, aber immer gewinnt Zorro. Und warum? Weil er sich besser auskennt als andere.“

Marc Hujer