junge Welt 18.12.1998

Als »Verräter« in der Türkei im Gefängnis
Deutsche Richter lieferten kurdischen Deserteur politischen Verfolgern aus

Am 14. Juli 1998 wurde der kurdische Deserteur Abdulmenaf Düzenli mit seiner schwangeren Frau und den drei kleinen Kindern gewaltsam aus dem Kirchenasyl in Mutterstadt (Rheinland-Pfalz) gezerrt und in die Türkei abgeschoben. Am gleichen Tag hatte das zuständige Verwaltungsgericht in Neustadt einen Eilantrag der Familie abgelehnt mit der Begründung, es drohe ihr keine politische Verfolgung. Die vorgelegten Dokumente über ein Verfahren gegen Düzenli vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wegen Separatismus wertete das Gericht zu Unrecht als Fälschung- und machte damit den Weg frei für die Abschiebung. In Istanbul angekommen, wurde Herr Düzenli wegen Fahnenflucht verhaftet. Er wurde zunächst von der »Anti- Terror-Polizei« unter Schlägen verhört, dann den Istanbuler Militärbehörden übergeben, die ihn an seine Einheit nach Izmir überstellten. Inzwischen sitzt er im Militärgefängnis in Izmir in Isolationshaft, wo er als »Vaterlandsverräter« militärischem Drill unterworfen und gezwungen wird, mehrmals täglich die türkische Nationalhymne und Soldatenlieder zu singen. Am 23.November wurde er vom Militärgericht Izmir wegen Desertion zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Parallel hierzu ist ein Verfahren gegen Düzenli wegen »Separatismus« vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir anhängig. Grundlage der Anklage ist die schriftliche Kriegsdienstverweigerung, die Düzenli aus Deutschland »als Kurde« mit Menschenrechtsverletzungen in der Türkei begründet hatte. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es in der Türkei jedoch nicht. Düzenli droht eine weitere Haftstrafe zwischen einem und drei Jahren.
Der Fall Düzenli macht deutlich, daß die deutsche Rechtssprechung, wonach Desertion und die Verweigerung des Kriegsdienstes in der Türkei lediglich als »Straftat« zu bewerten sei und keine politische Verfolgung nach sich zöge, nicht aufrecht erhalten werden kann. Anders als in Deutschland hat das höchste holländische Gericht in Den Haag in mehreren aufsehenerregenden Entscheidungen festgestellt, daß »Kriegsdienstverweigerung aufgrund der Angst, gegen das eigene Volk oder die Familie eingesetzt zu werden, (...) ein Grund für die Anerkennung des Flüchtlingsstatuts« sein kann.
Kai Weber, Förderverein des Niedersächsischen Flüchtlingsrats