Stuttgarter Zeitung 9.12.98
Schöner wohnen oder Rückzugsraum für Straftäter?
Eine Baugenossenschaft in Karlsruhe wird vom Staatsschutz der RAF-Sympathie bezichtigt - Mitglieder sind verärgert
Auf ein hochgelobtes Wohnprojekt in einer früheren US-Kaserne in Karlsruhe fällt ein Schatten. Polizei und Stadt fürchten den angeblich linksextremistischen Hintergrund einiger Bewohner.
Von Meinrad Heck
Im Streichelzoo hinter den Häusern meckern die Ziegen, auf der Straße fordert eine selbstgepinselte Tafel Schrittempo wegen spielender Kinder, aber die Kids toben in der abendlichen Eiseskälte lieber auf dem warmen Parkett in Mutters Wohnzimmer. Seit drei Jahren bastelt die Mieterinitiative Karlsruhe (MiKa) in den ehemaligen Smiley Barracks der US-Armee in Karlsruhes Nordstadt an einer Idee. Vier Wohnblocks werden mit minimalen Kosten umgebaut, 86 Sozialwohnungen für 145 Erwachsene und 80 Kinder sollen entstehen. Der älteste Bewohner ist 74, der jüngste gerade ein Jahr alt, die ersten sind vor wenigen Monaten eingezogen.
Die MiKa hat sich genossenschaftlich organisiert. Das 15-Millionen-Mark-Projekt wird mit zinsverbilligten Darlehen von L-Bank, Öko-Bank, Privatkapital und viel Eigenarbeit realisiert. Seitdem gilt dieses ¸¸gemeinschaftsorientierte Wohnen und Leben’’ als beispielhaft. Bis im vergangenen Sommer die Polizei ¸¸vertraulich’’ Erkenntnisse an die Stadt Karlsruhe weitergab und auf Nachfrage am 12.November nochmals fixierte. Demnach seien manche Bewohner und Funktionsträger der MiKa dem ¸¸politisch linksextremistischen Personenkreis’’ und noch dazu ¸¸der früheren RAF-Unterstützerszene’’ zuzurechnen, weshalb in Karlsruhes Norden hinter alten Kasernenzäunen ¸¸ein Rückzugsraum für potentielle Straftäter’’ entstehe.
Die Mieter entsetzten sich über diese ¸¸absurden Vorwürfe’’ und eine ¸¸beängstigende Stigmatisierung’’. Ob und wann die städtische Volkswohnung GmbH nach diesem Polizeibericht noch den Kaufvertrag für die vier Kasernengebäude unterschreibt, steht in den Sternen - dabei sind die ersten sieben Millionen Mark im Vertrauen auf frühere Absichtserklärungen bereits verbaut. Vor allem für die CDU im Aufsichtsrat der Volkswohnung ist ¸¸eine gänzlich neue Situation’’ entstanden. Auf der Wohnstraße hatten Mieter gegen rasende Autofahrer Poller zum Schutz ihrer Kinder aufgestellt, für die Polizei waren das illegale Hindernisse. Die jugendlichen Bauarbeiter einer eigens gegründeten Firma wohnten für einige Wochen in Bauwagen, dem Staatsschutz galt das als Wagenburg. Noch verdächtiger schien, daß immer häufiger frühere Hausbesetzer aus der Karlsruher Stephanienstraße auftauchten. Jenes liebevoll ¸¸Steffi’’ genannte besetzte Gebäude hatte vor Jahresfrist für Aufsehen gesorgt, weil Räumung und Randale auf dem Verhandlungsweg in letzter Minute verhindert worden waren.
Ohne Namen zu nennen, listet das Polizeipapier heftige Vorwürfe auf: Mal soll ¸¸eine Person aus dem Bereich der MiKa’’ Treffen ¸¸ehemaliger rechtskräftig verurteilter RAF-Angehöriger wie Sonnenberg und Folkerts moderiert’’ haben. Mal gab es Hinweise auf ¸¸Ausländerextremismus’’ im Zusammenhang mit der kurdischen PKK. Polizeipräsidentin Hildegard Gerecke kommt deshalb in einer ¸¸Lagebewertung’’ zu dem Schluß, daß ¸¸eine konzentrierte Ansammlung von Personen des linksextremistischen Spektrums beabsichtigt, zunächst im Wege des legalen Eigentumserwerbs einen abgeschotteten Wohnhof zu erstehen’’, der schließlich als ¸¸rechtsfreier Raum genutzt wird’’.
¸¸Lächerlich’’, sagt MiKa-Vorstandsmitglied Erik Müller. Das Gegenteil sei der Fall, weil ¸¸wir Offenheit und Vielfalt wünschen’’ und ¸¸seit langem erfolglos darum kämpfen, daß der häßliche Kasernenzaun entfernt wird’’. Dennoch mag die MiKa ihren Bewohnern ¸¸soziales und politisches Engagement für Menschenrechte nicht verbieten’’. Erik Müller kommt aus der Friedensbewegung und weiß, daß zu Pershing-Zeiten eine Kasernenblockade als ¸¸linksextremistische Straftat’’ galt.  Aber nach diesen Maßstäben ¸¸dürfte selbst Außenminister Joschka Fischer kein Vorstand unserer Genossenschaft sein’’.
Noch halten SPD und Grüne zu der Mieterinitiative. Wenn auch die Sozialdemokraten laut Fraktionschef Heinrich Maul sich ¸¸ein ganz kleines Hintertürchen’’ offenhalten und statt einem Verkauf jetzt eher mit einem Erbbauvertrag auf 99 Jahre Laufzeit liebäugeln.