taz 7.12.98

Türkische Medienschau
Werden wir Kohl missen?
Der Chefredakteur der Europaausgabe von Hürriyet kritisiert die Äußerungen von Bundesinnenminister Otto Schily: „Während die Kohl-Regierung vor den Wahlen vehement bestritt, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist, behaupteten SPD und Grüne damals das Gegenteil. Nun sind sie an der Macht, und was behauptet einer der leidenschaftlichsten Einwanderungspolitiker, Otto Schily? Er sagt: „Deutschland verträgt keine weitere Zuwanderung.“ Wo ist nun der Unterschied zu einem Helmut Kohl?  Was wird nun aus der Reform des Staatsbürgerrechts? Wir werden die neue Regierung genau beobachten. Wir werden sehen, ob sie ihr Wahlversprechen in den nächsten sechs Monaten einlösen wird.  Ein Rückzug in Sache Staatsbürgerschaft wäre eine totale Selbstverleugnung dieser Regierung. (3.12.1998)
Eine preußische Phantasie
So lautet die Überschrift einer Sabah-Kolumne: „Gott sei Dank gibt es deutsche Regierungen, die sich bemühen, internationale Probleme zu lösen. Die alte deutsche Regierung hat den Bosnienkonflikt für sich ziemlich „unblutig“ gelöst. Will die neue Regierung nun im Fall des PKK-Chefs Öcalan der Türkei einen Gefallen tun?... Auf die Frage, „ob Deutschland für die Freilassung Öcalans plädieren würde, wenn er nicht vor ein internationales Gericht gestellt würde, antworte der deutsche Kanzler: ,Ich phantasiere nur. Die Verantwortung trägt der italienische Ministerpräsident. Ich werde mich bemühen, meine Vorstellungen zu verwirklichen. Ich werde mich mit meinen Pantasien auseinandersetzen.`“ Auf türkisch heißt das: Geben sie mir ein wenig Zeit. Ich träume nur. Um den Preis solcher leerer Phantasien sind dreißigtausend unserer Menschen ermordet worden.  Deutschland bemüht sich, nach dem Balkan nun auch im Nahen Osten mitzureden... Die Türkei hat im Ersten Weltkrieg Zehntausende ihrer Söhne preußischen Phantasien geopfert. Wir haben nicht vor, unser Land im 21 Jahrhundert den Phantasien einer deutschen Regierung zu opfern. (1.12.1998)
Und noch einmal Kohl
Zum Gerangel um die Auslieferung des in Rom sitzenden Öcalan schreibt die Hürriyet: „Ist es nicht ein erstaunlicher Zufall, daß in Deutschland die Forderung, daß Öcalan vor ein internationales Gericht gestellt werden soll, und die Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots nahezu im gleichen Atemzug diskutiert werden?  Offen gestanden denken sehr viele Türken, daß eine Kohl-Regierung Öcalan längst nach Deutschland gebracht und ihm den Prozeß gemacht hätte. Und eine Kohl-Regierung hätte in diesem Zusammenhang nicht die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland angesprochen. (3.12,1998)
Zusammengestellt von Bülent Tulay