Hamburger Abendblatt 16.11.98

Eine sichere Bleibe für Öcalan
Gewährt Italien dem PKK-Chef Asyl? Türkei beharrt auf Auslieferung
 

ANDREAS ENGLISCH

Rom - Die Entscheidung scheint bereits gefallen:
PKK-Chef Abdullah Öcalan wird nach Informationen des Hamburger Abendblatts in Italien Asyl gewährt. Während der türkische Außenminister Ismail Cem in Rom verzweifelt bei Regierungsmitgliedern um Verständnis warb, signalisierte Walter Veltroni, der Chef der mächtigsten Regierungspartei DS, schon gestern Vormittag, daß die Würfel gefallen seien. „Ich bin der Ansicht, daß im Fall Öcalan alle Voraussetzungen erfüllt sind, um Asyl zu gewähren“, sagte Veltroni. Auch der für den Fall zuständige kommunistische Justizminister Oliviero Diliberto ließ nie einen Zweifel daran, daß er ein PKK-Unterstützer ist.
In Rom geht man davon aus, daß Öcalan sich in Italien stellte, nachdem ihm das Asylrecht unter der Hand von Regierungsmitgliedern zugesichert worden war, auch wenn dies offiziell bestritten wird. Die Beziehungen zwischen Italien und der Türkei könnten sich ohnehin kaum noch verschlechtern. Das italienische Parlament hatte vor einem halben Jahr im Abgeordnetenhaus eine Tagung der kurdischen Exil-Regierung zu Gast gehabt. Die Türkei drohte daraufhin mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Die Regierungsumbildung und die Aufnahme der kurdenfreundlichen Kommunisten in den Regierungsblock, scheinen Öcalan auf die Idee gebracht zu haben, nach Italien zu gehen. Eine Ablehnung des Asyl-Rechts scheint so gut wie unmöglich, da der Justizminister bereits erklärt hat: „Das kurdische Volk und die PKK werden in ihrem Befreiungskampf nicht allein gelassen.“ Eine sehr lange Eiszeit zwischen Italien und der Türkei steht bevor.
Der türkische Vize-Ministerpräsident Bülent Ecevit hatte zuvor erklärt, sollten Staaten der Versuchung erliegen, Öcalan aufzunehmen, würden „sie sich die Geißel des Terrorismus“ ins Land holen. Nach einem Bericht der Zeitung „Milliyet“ erwägt die türkische Regierung sogar die Abschaffung der Todesstrafe, um Öcalans Auslieferung zu erleichtern. Der PKK-Chef war vergangene Woche in Rom festgenommen worden.
Der „Focus“ berichtete, die Bundesregierung werde keine Auslieferung Öcalans beantragen, obwohl in Deutschland ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Nach Informationen des Magazins sind auch Bonner Kreise davon überzeugt, daß Italien dem PKK-Führer Asyl gewähren wird. Das Bundesinnenministerium wollte dazu keine Stellung nehmen. Der SPD-Politiker Penner sagte dagegen, mit dem Schengener Abkommen seien zwischen Italien und Deutschland „Fragen der Auslieferung relativ einfach geworden“.
Unterdessen belagern mehr als 15 000 Kurden, die fast ausnahmslos aus Deutschland kommen, das Militärkrankenhaus Celio in Rom, in dem Öcalan wegen Herzbeschwerden behandelt wird.  Etwa 30 Kurden begannen einen Hungerstreik in Rom, um ihre Solidarität mit Öcalan zu bekunden. In Istanbul nahmen Gefangene einen italienischen Inhaftierten als Geisel, um die Freilassung Öcalans zu erpressen. Auch in vielen deutschen Städten demonstrierten Kurden für die Freilassung Öcalans.   (SAD)