junge Welt 16.11.1998

Abdullah Öcalan weiterhin in Haft
Europaweit Demos gegen Auslieferung. Auch BRD-Delegation will nach Rom

Nach wie vor ist ungeklärt, was mit Abdullah Öcalan geschehen wird. Der kurdische Fernsehsender MFD-TV hatte am Sonnabend vermeldet, daß der Führer der PKK in Italien politisches Asyl beantragt hat. Die Entscheidung der italienischen Behörden über diesen Antrag wird für Dienstag erwartet, teilte die »Kurdistan Solidarität Hamburg« am Sonntag mit. Yek-Kom, die Förderation türkischer Vereine in Deutschland, erklärte darüber hinaus, daß die italienischen Behörden im voraus von der Einreise Öcalans informiert gewesen wären. Dies wurde in Rom umgehend dementiert.
Inzwischen gibt es in ganz Europa Initiativen, um die Auslieferung Öcalans an die Türkei zu verhindern. 109 Abgeordnete des griechischen Parlaments, das ist ein Drittel, unterschrieben eine Erklärung, in der für Öcalan politisches Asyl in Griechenland gefordert wird. Eine Gruppe von prominenten Wissenschaftlern, Politikern und Künstlern aus fast allen europäischen Ländern ist auf dem Weg nach Rom.
Proteste von kurdischen Gruppen gab es u. a. in Den Haag, Strasbourg, Brüssel, Bern und Bonn. Auch die italienischen Grünen und die Kommunisten riefen die Regierung auf, Öcalan Asyl zu gewähren. Die rechtsgerichtete Oppositionspartei Forza Italia erinnerte den neuen Regierungschef dagegen an Verpflichtungen, die Italien gegenüber seinem NATO-Partner Türkei habe.
In der Bundesrepublik ist die Entscheidung über ein mögliches Auslieferungsgesuch an die italienische Regierung offenbar noch nicht gefallen. Der SPD-Innenpolitiker Willfried Penner hält diese Variante jedoch für wahrscheinlich. »Ich würde sagen, es spitzt sich zunächst alles darauf zu, daß die Italiener wahrscheinlich vorrangig interessiert sind, Öcalan an Deutschland auszuliefern«, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses am Sonnabend dem Saarländischen Rundfunk. Den Italienern sei daran gelegen, den PKK-Chef »sobald wie möglich loszuwerden«. Seine Auslieferung von Italien nach Deutschland sei wegen des Schengener Abkommens rechtlich unproblematisch. Von deutscher Seite liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Mordes und anderer Straftaten gegen Öcalan vor.
Unterdessen hat der »Appell von Hannover e. V.« - ein Zusammenschluß von um eine friedliche Lösung des Kurdistan-Konfliktes bemühten Gruppen und Einzelpersonen - einen Aufruf für die Bildung einer deutschen Delegation nach Rom veröffentlicht. Zu den Unterzeichnern des Appells gehören unter anderem der Rektor der Bremer Universität, Professor Ronald Mönch, und die Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi, Eva Bulling-Schröter, Ulla Jelpke (alle PDS) und Angelika Beer (Grüne). Es soll auch zur Beteiligung an einer europäischen Faxkette mobilisiert werden. Italienische Institutionen sollen massiv mit der Forderung nach politischem Asyl für Abdullah Öcalan eingedeckt werden. Bei Redaktionsschluß lagen außer von Prof. Mönch und dem Sprecher von medico international, Hans Branscheidt, noch keine Zusagen für die Teilnahme an der Reise nach Rom vor.
Rainer Balcerowiak
 

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