DER STANDARD Mittwoch, 28. Oktober 1998

Marsch für die türkische Republik

Wer die Festfreude zum 75er stört, den trifft die Härte des Staatsapparats

STANDARD-Korrespondentin Astrid Frefel aus Istanbul

Die Türkei feiert. Am Donnerstag sind es 75 Jahre, seit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Republik ausgerufen und aus den Trümmern des Osmanischen Reiches die moderne Türkei geformt hat. Die Veranstaltungen aus Anlaß dieses Ereignisses füllen einen Festführer von 425 Seiten. Am Donnerstag werden dann auch Staatsgäste aus fast 100 Ländern an einem offiziellen Festakt teilnehmen.
Eine Werbeagentur hat die Slogans erdacht, die die Errungenschaften der Republik preisen. Da wird der Modernisierungsschwung als jung und dynamisch wie im ersten Jahr und so mächtig und tief verwurzelt wie nach 1000 Jahren dargestellt. Die Verkündung dieser Frohbotschaft macht nicht halt an den Landesgrenzen. Über den Nachrichtenkanal CNN wird weltweit ein Reklamefilm mit dem Titel „Der Tanz, der nicht endet“ ausgestrahlt.
Millionen Türken und Türkinnen sind am Wochenende auf die Straßen gegangen. Der „Marsch für die Republik“ wurde in 80 Städten und 700 Dörfern gleichzeitig durchgeführt. Diese Massenveranstaltungen sollen Geschlossenheit demonstrieren, aber auch die Feiern können die Gräben in der türkischen Gesellschaft nicht verdecken. „Wir haben nichts zu feiern“, meint ein Kurde, der als Journalist und Schriftsteller in Istanbul lebt.
Auch die Säkularismus-Debatte hinterläßt ihre Spuren. Wie viele Organisatoren hat auch die proislamistische Fazilet-Partei eigene Plakate gedruckt.
Sie zeigen Atatürk mit seiner Mutter und eine junge Frau vom Land mit Kind, beide verschleiert. Ihre Botschaft lautet: „Die Republik wurde in den Händen der Mütter geboren, in ihren Händen wächst sie.“ Andere Titel enthalten religiöse Symbole. Dies in scharfem Kontrast zu der staatlichen Kampagne, wo moderne, westlich gekleidete Städter den Ton angaben.
Wer die Festfreude in diesen Tagen stört, bekommt die ganze Härte des Staatsapparates zu spüren. Das haben auch die „Samstagsmütter“ erfahren müssen, als sie sich zum 180. Mal zu ihrem stummen Protest gegen das Verschwinden ihrer Söhne und Verwandten vor dem Galatasaray-Lisesi in Istanbul treffen wollten. Viele hundert Polizisten und Polizistinnen in Kampfmontur haben ihre Zusammenkunft verhindert und mehrere Verhaftungen vorgenommen.
Zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es am Wochenende auch bei einer Demonstration der prokurdischen Hadep-Partei gegen die offizielle Kurdenpolitik. Mehrere hundert Personen wurden in Polizeigewahrsam genommen.