Neue Zürcher Zeitung vom 22.10.98

Entspannung im türkisch-syrischen Konflikt
Damaskus verspricht ein Ende der Unterstützung für die PKK
Nach wochenlangen Spannungen haben die Türkei und Syrien das Ende der jüngsten Krise verkündet. Laut offiziellen türkischen Angaben hat sich Damaskus vertraglich dazu verpflichtet, seine Unterstützung für die türkische Kurdenguerilla der PKK einzustellen.

it. Istanbul, 21. Oktober

Nach zweitägigen von Geheimnissen umwitterten Gesprächen in der südtürkischen Stadt Seyhan haben sich, wie kurz gemeldet, syrische und türkische Sicherheitsexperten auf eine Formel zur Entspannung im jüngsten Konflikt geeinigt. Er sei optimistisch, erklärte nach Abschluss der Gespräche am späten Dienstagabend der türkische Aussenminister Cem. Laut seinen Ausführungen hat sich Damaskus schriftlich dazu verpflichtet, die Lager der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Syrien und dem syrisch kontrollierten Teil der Bekaa-Ebene in Libanon zu schliessen. Ferner wird Syrien die PKK zur terroristischen Organisation erklären und ihrem Vorsitzenden, Öcalan, die Einreise künftig verwehren. Optimismus trug auch der türkische Verteidigungsminister Sezgin zur Schau. Gleichzeitig forderte er aber Damaskus eindringlich dazu auf, diesmal die Zusagen einzuhalten. Die Nachbarländer haben sich weiter dazu bereit erklärt, transparente Mechanismen zur Kontrolle des Abkommens zuzulassen. Die Resultate des Treffens in Seyhan, vom türkischen Staatsoberhaupt Demirel als letzte Chance zur friedlichen Beilegung des Konflikts bezeichnet, haben in Ankara Euphorie ausgelöst. Die Entschlossenheit der Türkei habe Syrien in die Knie gezwungen, lautet das Fazit der Presse.
Euphorie in Ankara
Der jüngste von niemandem erwartete Konflikt brach Anfang Oktober aus. Die türkische Staatsführung beschuldigte Syrien einer feindlichen Haltung und forderte von Damaskus ultimativ, die Unterstützung für die PKK einzustellen. Ankaras Drohgebärde sowie die Verlegung türkischer Truppen entlang der syrischen Grenze alarmierte die Politiker in der Region. Der Nahe Osten könne keinen weiteren Konflikt ertragen, meldete sich aus Kairo der ägyptische Aussenminister. Ägypten und Iran boten sich als Vermittler an. Das Treffen von Seyhan ist offensichtlich das Resultat dieser Vermittlung.
Wie genau es zur jüngsten Eskalation kam und warum ausgerechnet vor drei Wochen das volle Glas überlief, wie der türkische Regierungschef Yilmaz sich ausdrückte, bleibt weiterhin unklar. Die Regierung habe der türkischen Öffentlichkeit nicht glaubhaft machen können, was Ankara zu den massiven Drohungen gegen Syrien bewegt habe, erklärte beim Ausbruch der Krise der sozialdemokratische
Oppositionspolitiker Baykal. Auch die türkischen Islamisten reagierten mit Verwunderung. Die syrische Unterstützung für die PKK sei schliesslich seit langem bekannt.
Dass einflussreiche Kreise des syrischen Staatsapparats sowie syrische Kurden die PKK unterstützen, ist in der türkischen Öffentlichkeit bekannt. Spätestens seit Mitte der achtziger Jahre spürten die türkischen Geheimdienste immer wieder den jeweiligen Wohnsitz des PKK-Chefs in Syrien auf und liessen Damaskus wissen, dass sie Öcalans Adresse und Telefonnummer bestens kennten. Mit ebensolcher Regelmässigkeit versprach Damaskus, seine Unterstützung für die PKK einzustellen. In den letzten Jahren jedoch wiesen syrische Sicherheitsbeamte sämtliche diesbezüglichen Anschuldigungen empört zurück und behaupteten, dass weder Öcalan noch PKK-Leute sich auf syrischem Territorium befänden.
Ende eines Katz-und-Maus-Spiels
Damaskus spiele mit Ankara ein Katz-und- Maus-Spiel, beschrieb neulich ein Kommentator das vorherrschende Gefühl in der Türkei.
Immerhin hat der Krieg zwischen der kurdischen Guerilla und den türkischen Streitkräften in den letzten 14 Jahren weit über 30 000 Todesopfer gefordert. Mehr als zwei Millionen Personen wurden zur Flucht gezwungen, und der kurdische Südosten der Türkei ist heute ein Land der verbrannten Erde. Im Laufe der letzten drei Wochen haben die im Parlament vertretenen türkischen Parteien sich vorbehaltlos hinter die Regierung gestellt. Gegen einen möglichen Krieg sprach sich lediglich die kleine prokurdische Hadep-Partei aus. Während einer Antikriegsdemonstration in Istanbul wurden am vergangenen Wochenende über 500 ihrer Mitglieder festgenommen.