Süddeutsche Zeitung  20.10.98

PKK-Chef Öcalan untergetaucht
886586 antwortet nicht

Wenn man neuerdings die Nummer 886586 in Damaskus wählt, erhält man entweder ein ständiges Besetztzeichen, oder es geht niemand an den Apparat. Vielleicht hat der Teilnehmer seine Rechnung nicht bezahlt, vielleicht ist er verreist, oder er ist umgezogen. Für die Türkei wäre dies eine gute Nachricht, denn der Anschluß gehörte Abdullah „Apo“ Öcalan, dem Führer der separatistischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK). Jahrelang hielt er sich in Syrien verborgen, bis Ankara vor zwei Wochen Damaskus ultimativ aufforderte, ihn auszuweisen. Vielleicht ist es aber so, daß Apo einfach nicht an den Apparat geht, den Hörer neben das Telephon gelegt hat, oder daß er einen neuen Anschluß bekommen hat. Sicher scheint jedenfalls zu sein: Niemand kann mit letzter Gewißheit sagen, wo sich Öcalan zur Zeit aufhält.
Öcalan selbst hat auch nicht wesentlich zur Erhellung des Geheimnisses beigetragen. „Ich bin in Kurdistan, und setze meine Arbeit fort“, teilte er der PKK-nahen Presseagentur DEM in Köln mit. Auf Öcalans Landkarten freilich erstreckt sich Kurdistan über Armenien, Iran, den Irak, die Türkei – und Syrien. Gleichzeitig teilte der PKK-Führer mit, daß er in der Vergangenheit Syrien immer nur „von Zeit zu Zeit besucht“ habe. Das Istanbuler Massenblatt Hürriyet ortete Apo zuletzt in Moskau und gab als Quelle den israelischen Geheimdienst Mossad an.  Auch der türkische Verteidigungsminister Ismet Sezgin wollte entsprechende Hinweise haben. Doch Beweise gibt es auch dafür nicht – Apo ist verschollen.
Schon vergangene Woche hatte er allerdings selbst angedeutet, daß er Syrien verlassen haben könnte. In seinem regelmäßigen Auftritt im Londoner PKK-Sender „MedTV“ sagte er, daß er um einHaar dem Tode entgangen sei. Er sei während eines Fluges mit Raketen beschossen worden. Wo der Zwischenfall stattfand und wohin er unterwegs war, wollte Öcalan jedoch nicht enthüllen.
Tatsächlich hätte der PKK-Führer keine große Auswahl, falls ihn sein langjähriger Patron, Syriens Staatschef Hafes el-Assad, vor die Türe setzen würde. Armenien und Griechenland, wo es zwar breite Sympathie für die PKK und ihren Kampf gibt, würden einem Terroristen keinen Unterschlupf gewähren, und die Republik Cypern winkte ebenfalls ab. Ob sich Öcalan bei Libyens Oberst Muhammar al Khadhafi oder bei Saddam Hussein in Bagdad sicher fühlen würde, ist auch nicht ausgemacht. Der kurdische Norden des Irak ist vollends ausgeschlossen: Dort fiel Öcalans ehemaliger Vize Semdin Sakik in türkische Hände - verraten vom kurdischen Bruder Massud Barsani.
 Wolfgang Koydl