Neue Zürcher Zeitung vom 20.10.98

Neue türkische Anschuldigungen gegen Syrien  Wiederaufnahme der Sicherheitsgespräche?

vk. Limassol, 19. Oktober
Die türkische Führung hat am Montag zur Untermalung eines ersten geplanten Treffens zwischen Sicherheitskommandanten aus Ankara und Damaskus erneut Syrien in scharfer Form vorgeworfen, es unterstütze mit militärischen Mitteln Öcalans bewaffnete separatistische Arbeiterpartei Kurdistans. Präsident Demirel wählte als Ort seines Auftritts ausgerechnet den auch von Syrien beanspruchten Landstrich Sandschak (Hatay/ Alexandrette), um Damaskus in eher hochfahrenden Worten «eine letzte Chance zur friedlichen Verständigung» einzuräumen. Er sagte, er habe Grund zur Annahme, dass sich der PKK-Chef entgegen allen offiziellen Beteuerungen Syriens weiterhin im Nachbarland aufhalte. Ankaras Verteidigungsminister Sezgin hatte am gleichen Morgen erklärt, nach den Erkenntnissen seiner Streitkräfte entsende Syrien insgeheim sogar Offiziere zur Verstärkung der PKK-Miliz. Die Armee habe neuerdings nach Kämpfen mit PKK-Kommandos auch syrische Soldaten unter den Toten gefunden. Das gilt als die bisher präziseste Beschuldigung des Nachbarn in einer bald 14jährigen Serie von türkischen Anklagen. Damaskus bestreitet all das konsequent und erklärt sich zu bilateralen Gesprächen bereit, wie sie in der Vergangenheit routinemässig in einem besonderen Sicherheitsausschuss stattfanden.
Arabische Unterstützung  Die angespannten Nachbarbeziehungen erhielten Anfang Oktober schlagartig einen militärischen Unterton, als Demirel und seine Regierung ausdrücklich mit Gewaltanwendung gegen Syrien drohten, wenn Damaskus seine Hilfe für die PKK nicht aufgebe. Ankara verstärkte seine Truppen entlang der syrischen Grenze und kündigte auf Anfang November Grossmanöver an. Doch Mitte Oktober erreichte die Vermittlung des iranischen und vor allem des ägyptischen Aussenministers eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Ankaras Generalstabschef räumte plötzlich ein, die PKK- Ausbildungslager im syrischen Machtbereich seien geschlossen und Öcalan sei abgereist.
Diese Stellungnahme war die Reaktion auf eine intensive Werbeaktion Syriens bei verschiedenen arabischen Regierungen, um Ankara seine diplomatische Isolation in der Region deutlich zu machen. In den Augen der Syrer steht Israel hinter der militärischen Drohung des Nachbarn. Damaskus wähnt eine angebliche israelische Expansionsstrategie und einen wachsenden Einfluss dank dem militärischen Kooperationsabkommen mit Ankara. Die Syrer halten deshalb den Türken vor, sie förderten nicht die eigenen Interessen, sondern
diejenigen des jüdischen Staats. Wortmeldung Öcalans aus «Kurdistan» Syrien legte via Ägypten einen neuen Plan für bilaterale Sicherheitskooperation vor, welchen Ankara annahm. Als erster Schritt wurde für Montag ein geheimnisumwittertes Treffen syrischer und türkischer Fachleute der Sicherheitskräfte, der Armee und des Aussenministeriums angesetzt. Falls dieses befriedigende Resultate erbringt, sollen die beiden Aussenminister Cem und Charea in Kairo zusammenkommen.
Doch Ankara stellte dieses Unternehmen in seinen öffentlichen Kommentaren als ein Verfahren zur Prüfung des Wohlverhaltens der Syrer dar, wobei der Angeklagte immer wieder zum handfesten Beweis seiner Unschuld aufgefordert wurde. Damaskus machte gute Miene zum bösen Spiel; Verteidigungsminister Tlass beteuerte weiterhin den Wunsch nach einer diplomatischen Lösung. Doch zugleich betonte Informationsminister Salman, Syriens historischer Anspruch auf Alexandrette sei eine nationale Sache und könne nicht einfach aufgegeben werden, wie Ankara das fordert. Der PKK-Chef Öcalan meldete sich indessen selbst zu Wort mit der Erklärung, er befinde sich nicht in Syrien, sondern «in Kurdistan». Er habe sich lediglich zum Besuch des kurdischen Bevölkerungsteils mehrfach in Syrien aufgehalten, was allerdings mit der Regierung gar nichts zu tun habe. Das ist recht offensichtlich eine für Asads Bedürfnisse zurechtgemachte Darstellung, zumal Öcalan während Jahren seine Presseauftritte mit einem syrischen Fahrzeug und im syrisch kontrollierten Grenzgebiet Libanons veranstaltete.