Giessener Anzeiger  16. Oktober 1998
Staatsanwaltschaft: Gastrecht massivst mißbraucht

Gericht sieht Kurden der Beteiligung an den Ausschreitungen zum Kurdischen Newroz-Festes überführt

GIESSEN. Auch gestern wieder beschäftigten die Vorfälle des 20. März 1996 das Gießener Amtsgericht. An diesem Abend war es anläßlich des kurdischen Neujahrsfestes auf dem Kirchenplatz zu schweren Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Kurden und der Polizei gekommen. Die hatte versucht, die verbotene Demonstration aufzulösen.
Das Schöffengericht sprach einen 30jährigen Kurden des schweren Landfriedensbruchs, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und der versuchten gefährlichen Körperverletzung schuldig. Ihm wurde eine einjährige Bewährungsstrafe auferlegt. Zudem muß der Angeklagte 100 gemeinnützige Arbeitsstunden innerhalb von vier Monaten leisten.
Das Gericht zeigte sich überzeugt, daß der 30jährige mit einem über einen Meter langen Ast zwei mal auf einen Polizeibeamten eingeschlagen hatte. Nur aufgrund der schweren Schutzkleidung blieb der Beamte unverletzt. Dabei folgte das Gericht den Angaben dreier Polizisten, die den Angeklagten zweifelsfrei identifiziert hatten. Der hatte bis zuletzt bestritten, einen Polizeibeamten geschlagen zu haben. Er habe vielmehr versucht zu  vermitteln und Frauen und Kinder zu schützen. Noch in seinem Schlußwort beschuldigte er die Polizei: „Es hat sich herausgestellt, daß die Polizisten gelogen haben.“
Die Staatsanwaltschaft hingegen führte aus, das Verhalten der Demonstranten habe ein Einschreiten der Polizei unumgänglich gemacht.
Das Schwenken von Fahnen der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und das Rufen von Parolen habe der Polizei gar keine andere Wahl gelassen, da die PKK in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt sei. Zudem seien die Beamten massiver Gewalt ausgesetzt gewesen. Die Demonstranten hätten die Polizei mit Stöcken und Fackeln angegriffen. Hier in Deutschland habe jeder das Recht sein politische Meinung kund zu tun. „Man kann aber nicht Knüppel von Bäumen reißen und dann auf die Polzei einschlagen“, verurteilte der Staatsanwalt das Verhalten des Angeklagten. „Sie haben Ihr Gastrecht massivst mißbraucht“, wurde der Vertreter der Anklage noch deutlicher.
Das Gericht folgte mit seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Dabei stellte der Vorsitzende klar, daß man sich bei der Strafzumessung von den Gesichtspunkten habe leiten lassen, die schon die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer hervorgehoben habe. Die Demonstranten, darunter auch der Angeklagte, hätten sich bewaffnet und seien auf die Polizei losgegangen. Die Einlassung des 30jährigen sei durch die Verhandlung eindeutig widerlegt worden. Die Zeugen hätten den Angeklagten zweifelsfrei identifiziert, führte der Richter aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.