taz-Hamburg, 14.10.98
Drohende Abschiebung in die Türkei
Lüneburger Verwaltungsgericht entscheidet heute über Asylfolgeantrag einer zwölfköpfigen kurdischen Familie

Als der Kurde Mehmet Ali Akbas nach seiner Abschiebung aus Deutschland im Januar in der Türkei nachweislich schwer gefoltert wurde, sorgte das für beträchtliches Aufsehen in den Medien. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhard Hirsch fragte öffentlich: „Wieviele menschliche Versuchskaninchen benötigt der niedersächsische Innenminister noch, um sich von der Vertragstreue der türkischen Politiker zu überzeugen?“
Offenbar braucht er noch einige mehr. Denn auch in einem weiteren Fall wurde die Lüneburger Ausländerbehörde inzwischen aktiv. Sie versprach den türkischen Behörden, ihnen mitzuteilen, wann genau sie die kurdische Familie Diri abschieben wird. Die Vorbereitungen laufen - obwohl das Lüneburger Verwaltungsgericht erst heute über den Asylfolgeantrag der Familie verhandeln wird. Die zwölfköpfige Familie Diri lebt seit acht Jahren in Lüneburg. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt, obwohl der Vater erst in der Türkei, dann auch von Deutschland aus die kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt. Also stellte die Familie neue Anträge, auch die wurden abgelehnt. Sie reichte eine Petition ein, erfolglos.
Schließlich erkrankt die Mutter psychisch. Ärzte bescheinigen ihr, sie sei nicht reisefähig. Die Ausländerbehörde widerspricht. Die Mutter kommt ins Krankenhaus. Noch immer ist die Behörde von ihrer Reisefähigkeit überzeugt. Zwar stapeln sich auf dem Schreibtisch des Sachbearbeiters Atteste, die dringend vor der Abschiebung warnen. Die Ausländerbehörde jedoch glaubt keinem Gutachter, der nicht in ihren Diensten steht: „Von allen abgegebenen Stellungnahmen“, so ihr Statement, seien die Ausführungen des von ihr beauftragten Gutachters diejenigen, „die am stärksten zu überzeugen vermögen“.
Der Arzt der Behörde war zu der Überzeugung gelangt, die schweren Depressionen seien „nicht objektivierbar“ und folglich nicht von Belang.  Andere Ärzte hatten gewarnt, Frau Diri könne sich im Falle der Abschiebung das Leben nehmen. Doch das beeindruckt die Ausländerbehörde wenig: Da wäre es doch „für jeden abgelehnten Asylbewerber ein leichtes, mit Hilfe von Selbstmorddrohungen eine Duldung zu erreichen“, heißt es in einem amtlichen Schreiben.
Das Verwaltungsgericht hingegen hatte auch der Sachkunde anderer Ärzte Glauben geschenkt und die Abschiebung Ende August vorerst gestoppt. Somit muß die Ausländerbehörde zumindest den Ausgang des heutigen Asylfolgeverfahrens abwarten. Durch Zeugen will die Rechtsanwältin der Diris, Sigrid Töpfer, nun nachweisen, daß die politischen Aktivitäten des Vaters über einen Spitzel in die Türkei verraten wurden. Daß für Ibrahim Diri Verfolgungsgefahr in der Türkei besteht, ist selbst der Stadt Lüneburg nicht entgangen. Die fragte schriftlich in der Türkei nach, ob ein Strafverfahren gegen ihn laufe. Die türkischen Behörden verneinten - so wie damals bei Mehmet Ali Akbas.
Elke Spanner