taz 14.10.98
Abwärtsspirale
Mit Kanonenbootpolitik will die Türkei ihre Interessen durchsetzen
Abdullah Öcalan meldet sich nicht mehr. Nach Berichten türkischer Zeitungen ist der Chef der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) seit zwei Tagen aus Damaskus verschwunden. Das entspricht einer Botschaft, die der ägyptische Außenminister Amr Moussa am Montag abend in Ankara überbrachte.  Damit scheint die ägyptische Diplomatie in ihren Vermittlungsbemühungen zwischen der Türkei und Syrien einen ersten Erfolg errungen zu haben. Nach inoffiziellen Angaben hat Assad zugesagt, die türkischen Forderungen weitgehend zu erfüllen und die Aktivitäten der PKK von Syrien aus zu unterbinden. Obwohl man in Ankara noch skeptisch ist und sich beispielsweise nicht damit zufriedengeben wird, wenn Öcalan zukünftig vom syrisch kontrollierten Teil Libanons aus agiert, stehen die Zeichen erst einmal auf Entspannung.  Als nächster Schritt ist nun ein Treffen des syrischen und türkischen Außenministers in Kairo vorgesehen.
Parallel dazu baut die Türkei ihre militärische Drohkulisse an der syrischen Grenze weiter auf.  Offiziell soll Anfang November ein Großmanöver in der Provinz Hattay - dem Teil des Grenzgebiets, das Syrien historisch für sich reklamiert - stattfinden, an dem 50.000 Soldaten, Teile der Luftwaffe und der Marine beteiligt sein sollen.  Anscheinend ist man in Ankara der Meinung, mit erhöhtem militärischem Druck könne man nun auch die restlichen Streitfragen mit Damaskus im türkischen Sinne klären. Das sind nach der syrischen Unterstützung für die PKK vor allem der Streit um das Euphratwasser, das wegen eines türkischen Staudamms nicht mehr in der früheren Menge nach Syrien gelangt, und die Grenzstreitigkeiten in der Hattay-Provinz. Doch selbst wenn die türkische Kanonenbootpolitik kurzfristig im Sinne Ankaras funktionieren sollte, gute Nachbarschaft entsteht so nicht. Die Syrer, die arabischen Staaten insgesamt, werden auf die Gelegenheit zur Revanche warten. Die anderen Nachbarn der Türkei, allen voran Griechenland, werden an der Fähigkeit der türkischen Politik, friedliche Konfliktregelungen zu suchen, noch stärker zweifeln als bisher. Damit wird eine diplomatische Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Die türkischen Militärs und ihre Politiker glauben, wenn sie ordentlich mit dem Säbel rasseln, bekommen sie, was sie wollen. Griechenland und Syrien, aber auch Iran und Armenien versuchen sich an einer unsinnigen Bündnispolitik, um einer potentiellen türkischen Drohung nicht allein gegenüberzustehen. In diesem allgemeinen Klima des Mißtrauens braucht es nicht viel, damit aus einer taktischen Drohung blutiger Ernst wird. Auch die Syrien-Krise ist nicht wirklich ausgestanden. Die PKK muß jetzt nur einen Bombenanschlag in der Westtürkei durchführen, und schon ist der Kriegsfall da. Die türkische Armee hätte sich in ihrer eigenen Kanonenbootpolitik verfangen.
Jürgen Gottschlich