zdf-online 8.10.98

Die türkische Verlegerin Ayse Zarakolu Menschenrechtspreis an Zarakolu
Die türkische Verlegerin darf den Preis nicht persönlich entgegennehmen

Die türkische Verlegerin und Menschenrechtsaktivistin Ayse Zarakolu hat den Menschenrechtspreis der Internationalen Verlegerunion erhalten. Doch sie durfte ihn nicht selbst entgegennehmen - die türkische Regierung verhindert ihre Ausreise.
 

PEN-Club zu Ayse Zarakolu (engl.)
 
Gerichtstermine und Verurteilungen gehören - so düster dies klingt - zum Alltags-Geschäft von Ayse Zarakolu. Sie hat Schriften von Andrej Sacharow und Nelson Mandela verlegt, aber auch Berichte über die Verfolgung der Kurden, die Willkür des türkischen Militärs.
Ayse Zarakolu:
“Ja, in der Tat, man hat mich mehr als nur einmal beschuldigt. Seit 1982 war ich viermal im Knast. Wegen 33 Büchern und wegen zweier unerwünschter Reden.  Manche dieser Verfahren sind noch im Gange. Das ist eine beinahe tragische Angelegenheit: Im 50. Jahr der Menschenrechtskonvention bekomme ich einen Preis - für unser Engagement in einem Land, in dem extrem viele und sehr schlimme Vergehen gegen die Menschenrechte geschehen.”
Die Entscheidung der Internationale Verlegerunion, Ayse Zarakolu zur ersten Preisträgerin des Menschenrechtspreises zu küren, wird weltweit anerkannt.
Ayse Zarakolu:
“Wenn die oberste Dachorganisation unseren Kampf für würdig empfand, dann sind die Kosten des Kampfes, nicht nur meine Leiden im Gefängnis, nicht umsonst gewesen. Dieser Preis gilt vor allem denen, die im Kampf um ihre Rechte, umgekommen sind - oder noch immer in den Knästen sitzen. Ja, dieser Preis bedeutet Verantwortung. Aber er macht meine Freunde und mich auch stolz, trotz all der schmerzlichen Erlebnisse. Wir können unsere Sache nun vor eine Weltöffentlichkeit bringen.”
Aber Ayse Zarakolu hat derzeit nur einen Personalausweis, keinen Reisepaß, den sie zur Ausreise nach Deutschland bräuchte. Die türkischen Behörden haben ihre Papiere kassiert. Auch eine Intervention aus Bonn half bislang nichts. Von Tag zu Tag wird die Verlegerin vertröstet.
Ayse Nur Zarakolu:
“Seit mehr als zwei Wochen gehe ich nun Tag für Tag zu den verantwortlichen Ämtern. Aber immer heißt es: “Kommen Sie morgen wieder.” Ob ich den Paß bekomme - oder zumindest: warum nicht - das wird mir vorenthalten. Diese Preisverleihung hat schon sehr düstere Züge: Ausgezeichnet werde ich für mein Engagement in Sachen Menschenrechte. Und gleichzeitig wird mir mein Grundrecht zu reisen vorenthalten. Nun, wir sind eben in der Türkei.”
Zarakolu, die über ein Jahr ihres Lebens im Gefängnis verbrachte, kann diese Schikane wenig schrecken.  Zusammen mit ihrem Mann Ragib, als Mitverleger und Übersetzer auch schon mehrfach inhaftiert, hat sie weit Schlimmeres erlebt.
Ayse Zarakolu:
“Ich gehöre zu einer Generation, die in jüngster Vergangenheit zwei Militärputsche erlebt hat. Viele geliebte Freunde mußten ins Gefängnis, viele haben wir durch Morde verloren, die niemals aufgeklärt wurden.  Und viele wurden hingerichtet. Da ist es nicht besonders wichtig, daß wir für ein paar Monate inhaftiert waren. Zehntausende von Menschen sitzen derzeit in türkischen Knästen. Sie sind ausschließlich wegen ihrer ethnischen Identität oder wegen ihrer politischen Überzeugung ihrer Freiheit beraubt. Und vielleicht werden sie ihre Freiheit niemals wieder erleben, weil die Gesundheitsprobleme in den Gefängnissen aufgrund der Haftbedingungen gewaltig sind. Aber, in den Monaten, in denen wir einsaßen, haben wir an dem Leid der anderen teilgenommen. Wir haben erfahren, daß es unsere gottverdammte Pflicht ist, dafür zu kämpfen, daß die politischen Gefangenen in der Türkei freigelassen werden. Sie müssen ihre Meinung wieder in Freiheit vertreten können. Kurzum:
Niemand sollte denken, daß Leute wie ich, die einige Monate im Gefängnis verbrachten, sich aus dem Kampf zurückzuziehen werden - im Gegenteil.”
Einschüchtern ließ sich die couragierte Frau auch nicht, als vor einigen Jahren in ihrem kleinen Verlag eine Bombe hochging. Die Polizei hat die Ermittlungen bald eingestellt.  Ayse Zarakolu hat trotzig mit ihren Mitteln reagiert: Sie verlegte das Gedächtnisprotokoll eines gefolterten Kurden, einen Menschenrechtsbericht aus Amerika, indem die Türkei wegen der Verfolgung unbotmäßiger Intellektueller hart kritisiert wird.
Jüngster Streitfall: Eine Chronik des Putsches 1980. 12 Hinrichtungen werden aufgerollt. Ein tabuisiertes Thema, auf das - schätzt Ayse Zarakolu - einmal mehr vier Monate Haft stehen könnten. Gerade mit diesem Buch dürfte auch der verweigerte Pass zusammenhängen. Doch der Einzelfall hat durchaus Methode.
Ayse Zarakolu:
“Nicht nur ich, sondern alle Verleger, die ähnliche Betätigungsfelder haben, sind in einer vergleichbaren Situation. In meiner 20jährigen Arbeit habe ich mehr als 500 Bücher vorbereitet. Mehr als dreißig wurden staatlicherseits beanstandet, mehr als dreißig, zum Teil sehr langwierige Verfahren eröffnet. Der starke Staat hat Angst; er zieht gegen alle in den Krieg, die anders denken als er. Das können Kommunisten sein, Sozialisten, Kurden, ja sogar der politische denkende Islam. Alle die anders denken oder anders sind, bekommen den Zorn des Staates zu spüren.”
Es ist sicher, daß dieser Skandal Ayse Zarakolus gewichtiger Botschaft noch mehr Beachtung zuteil werden läßt:
Ayse Zarakolu:
“Wir erwarten von der Menschheit, so heißt es in meiner vorbereiteten Rede, daß sie dieser Türkei keine Waffen mehr liefert. Wir erwarten, daß sie ihre Pflicht im Namen der Menschheit erfüllt.”