DIE WELT, 7.10.1998
Yilmaz warnt Syrien „zum letzten Mal“
Kurden, Wasser, Allianzen: Ankara und Damaskus riskieren Krieg
Von DIETRICH ALEXANDER
Berlin - Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz hat eine „letzte Warnung“ an Syrien gerichtet, die Unterstützung der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu beenden.
Zuvor hatte er von Syrien die Auslieferung von PKK-Chef Abdullah Öcalan verlangt. Yilmaz’ Drohungen erfolgten wenige Stunden vor Vermittlungsgesprächen des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak mit seinem türkischen Kollegen Süleyman Demirel.
In der arabischen Welt werden derartige Drohungen Ankaras mit großer Sorge gesehen. Der arabisch-türkische Gegensatz tritt dabei immer offen zutage - nicht vergessen haben die Araber, daß sie 500 Jahre von den türkischen Osmanen regiert wurden.
Die Angst vor einem Angriff der türkischen Armee fördert schon seit geraumer Zeit Allianzen. Klar zu beobachten ist die Wiederannäherung zwischen Syrien und dem Irak. Bagdad hatte 1980 die Beziehungen abgebrochen, weil der syrische Staatschef Hafis el Assad den Iran im ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) unterstützt hatte.
Durch die ständigen Grenzverletzungen Ankaras im Irak hat es Bagdad gegen sich aufgebracht. Wie selbstverständlich überschreiten türkische Soldaten von Zeit zu Zeit die irakische Grenze auf der Jagd nach den Kurden. In Syriens Hauptstadt Damaskus fürchtet man ähnliches und lehnt sich nicht zuletzt in der Suche nach Partnern gegen den ungeliebten nördlichen Nachbarn an den ehemaligen Feind. Zudem will der brillante Taktiker in Damaskus bereitstehen, wenn im Irak wieder der Ölhahn für den Welthandel aufgedreht wird. Von der Pipeline aus dem Nordirak ins türkische Ceyhan profitiert derzeit nur Ankara.
Ein Beben in diesem äußerst sensiblen Machtgefüge aber zöge noch weitere Kreise: Israel würde involviert. Zwar beeilte sich Premier Benjamin Netanjahu zu erklären, daß man - komme was da wolle - absolut neutral bliebe. Doch die israelische Waffenbrüderschaft mit den Türken spricht eine andere Sprache. Längst übt man gemeinsam in Manövern und tauscht
Waffentechnologie aus. Das behagt den Syrern nicht, sähen sie sich doch in einem möglichen Konflikt einem Zweifrontenkrieg ausgesetzt.
Auch der Iran - obwohl an seiner Ostflanke mit den Taliban in Afghanistan beschäftigt - kann nicht abseits stehen und würde wohl dem „Löwen“ (arabisch: Assad) von Damaskus zumindest logistische Hilfe bereitstellen.
Vorwürfe halten sich hartnäckig, daß die Türkei nicht nur in das Machtvakuum Nordirak  stoßen, sondern auch Teile Nordsyriens annektieren wolle. Das hat neben der besseren Kontrolle über die Kurden auch einen weiteren positiven Effekt: In aller Ruhe könnte Ankara dann sein ehrgeiziges Wasserprojekt durchziehen: mehr als 20 Staudämme an den Flüssen Euphrat und Tigris.
Sollte es über die Kurdenfrage bis dahin nicht zum Krieg gekommen sein, werden Damaskus und Bagdad spätestens dann angreifen, wenn Ankara ihnen buchstäblich das Wasser abgräbt.