taz, 7.10.1998

Erfolgt nach Serbien eine Militärintervention in der Türkei?
Alles eine Frage des (Nato-)Interesses
Das Feuer ist entfacht, UN-Mandat hin, UN-Mandat her. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag der Nato gegen Serbien sind auch ohne Auftrag der Vereinten Nationen längst getroffen. In den Chor derjenigen, die für Luftangriffe plädieren, stimmen nicht nur Militärstrategen und Machtpolitiker ein, sondern auch jene, die es mit den Menschenrechten - Verhinderung von weiteren Massakern und Schutz der auf der Flucht befindlichen Kosovo-Albaner - ernst meinen. Die Frage nach den unterschiedlichen Motiven der Akteure, die heute lautstark auf Belgrad einschlagen, wird allerdings kaum noch gestellt.
Menschenrechtsverletzungen gibt es weltweit zuhauf. Zum Beispiel in dem Nato-Mitgliedsland Türkei. Aber niemand forderte bislang Luftangriffe auf Ankara, obgleich in den kurdischen Regionen Zehntausende Menschen ums Leben kamen. Es gab Massaker, Zivilisten wurden aus ihrer Heimat vertrieben, Dörfer und Felder in Brand gesteckt.
Und wer redet über die Massaker des menschenverachtenden Regimes der Taliban in Afghanistan, die mit kräftiger Unterstützung der USA sich in Aggression gegen den Nachbarn Iran üben? Ein Blick auf die Weltkarte genügt, um die moralische Verlogenheit der Akteure, die heute militärisch auf dem Balkan intervenieren wollen, bloßzustellen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, in Regionen einzugreifen, in denen ein ethnisch bestimmter Konflikt zwischen souveränen Staaten und einer bewaffneten Autonomiebewegung stattfindet. Das gewaltsame Eingreifen von außen verstärkt die Hegemonie nationalistischer, chauvinistischer Ideologie in den Ländern, die ihren Staat gegen „separatistische Elemente“ verteidigen. Mit dem Verweis auf die bewaffnete Kosovo-Befreiungsarmee UCK läßt sich in Belgrad einiges bewegen. Und die Lage der Zivilisten im Kosovo würde sich durch „begrenzte“ Luftangriffe der Nato eher verschlechtern als verbessern.
Solange es kein militärisches Instrumentarium einer demokratisch legitimierten Weltgemeinschaft gibt - die UN ist schließlich auch nur ein Sammelsurium mehr, oder vielmehr: weniger, demokratischer Staaten -, führen Militärschläge gegen souveräne Staaten zu einer Verschärfung des Regionalkonfliktes. Nicht die trostlose Lage im Kosovo ist der Grund für die Debatte um Luftangriffe, sondern Machtkalküle von Politikern, die nach dem Ende des Kalten Krieges der Nato einen Selbstzweck einhauchen wollen - ungeachtet der Frage nach dem Sinn.
Ömer Erzeren