Berliner Zeitung, 6.10.98
Türkei verlangt von Syrien die Auslieferung des PKK-Chefs
Zeitung berichtet von detaillierten Angriffsplänen Ankaras
Von Frank Herrmann

ANKARA, 5. Oktober. Die Krise zwischen der Türkei und Syrien hat sich am Montag bedrohlich zugespitzt. Der türkische Außenminister Ismail Cem forderte den Nachbarn auf, die Unterstützung für die Kurdische Arbeiterpartei PKK sofort einzustellen. Sein Land habe keine Zeit, sich weiterhin mit „leeren Worten“ abspeisen zu lassen, sagte Cem. Damaskus solle unverzüglich handeln und PKK-Chef Abdullah Öcalan ausliefern.  Staatspräsident Süleyman Demirel hatte zuvor erklärt, seine Geduld sei am Ende: „Ich warne nicht nur Syrien, ich warne die ganze Welt. Das kann so nicht weitergehen.“
Die Tageszeitung „Sabah“ veröffentlichte unterdessen Angriffspläne des türkischen Generalstabs. Demnach sollen Kampfjets in einer ersten Welle Luftwaffenstützpunkte und Raketenstellungen Syriens zerstören. Danach sollen Öcalans Haus in Damaskus und Ausbildungslager der Rebellen in der libanesischen Bekaa-Ebene bombardiert werden. In einer dritten Stufe will man Kraftwerke angreifen. Laut „Sabah“ seien die Pläne fertig; die Generäle wollten aber zunächst die weitere Entwicklung abwarten.
Alle Übergänge an der 877 Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze sind inzwischen geschlossen.  Ankara hat zusätzliche Truppen in das Gebiet verlegt.  Kampfflugzeuge überfliegen die Grenzregion in kurzen Abständen.
Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hat seinerseits vor einer Kettenreaktion mit verheerenden Folgen für den gesamten Nahen Osten gewarnt. „Mit Gewalt löst man keine Differenzen“, sagte Mubarak der überregionalen arabischen Zeitung „Al-Hayat“. Ein Krieg wäre der Beginn einer „Kette von Aktion und Reaktion, die nicht enden wird“. Dies habe er Demirel wissen lassen, so Mubarak.
Mubarak als Vermittler
Der Ägypter will am Dienstag zu schlichtenden Gesprächen nach Ankara reisen. Am Sonntag hatte er sich in Damaskus zusammen mit seinem syrischen Amtskollegen Hafez al-Assad für eine diplomatische Lösung der Krise ausgesprochen. Mubarak ist einer der wenigen, die für die schwierige Vermittlermission in Frage kommen. Er gilt als Freund Assads, pflegt aber gleichzeitig gute Kontakte zur Türkei.
Die meisten arabischen Staaten sowie Iran haben sich auf die Seite Syriens gestellt. Sie werfen Ankara vor, in Damaskus nur den Buhmann für das ungelöste Kurdenproblem zu suchen. Vor allem aber nehmen sie es der Türkei übel, daß sie seit zwei Jahren militärisch mit Israel zusammenarbeitet – aus ihrer Sicht eine „strategische Allianz“ mit dem Ziel, die Kräftebalance in der Region zu kippen.