Frankfurter Rundschau, 6.10.98
 

Wenn zwei Nachbarn streiten, will sich Israel raushalten
Trotz der Allianz mit der Türkei verlegt sich die Regierung Netanyahu im aktuellen Konflikt auf eine „neutrale Rolle“
Von Inge Günther (Jerusalem)

Bei aller Freundschaft zu Ankara - aus diesem Konflikt hält sich Israel demonstrativ heraus. Mit den wachsenden syrisch-türkischen Spannungen will man nichts zu tun haben, umso mehr als nicht nur in Damaskus sondern auch in Teheran verbale Attacken gegen die israelische Regierung wegen vorgeblicher Mitschuld an der aktuellen Krise geführt werden. Bereits am Wochenende befahl der israelische Verteidigungsminister Yitzhak Mordechai der Armee, die Routinekontrollen an der Grenze zu Syrien herunterzufahren. „Um jenseits jeglichen Zweifels klarzumachen“, wie es Verteidigungssprecher Avi Benayahu ausdrückte, daß Israel in dem Disput zwischen Syrien und der Türkei keine Partei ergreifen werde.
Ein deutliches Signal, doch so leicht dürfte sich das Mißtrauen in der arabischen Welt gegenüber der enggeknüpften israelisch-türkischen Allianz nicht entkräften lassen. Die militärische Kooperation beider Staaten bis hin zum Austausch von Geheimdienstinformationen gilt in der Region als einzigartig. Entsprechend einer im letzten Jahr getroffenen Vereinbarung trainieren israelische Piloten im türkischen Luftraum. Und erst im vergangenen Frühjahr fand ein gemeinsames Seemanöver der Marine im östlichen Mittelmeer statt.
Auch der Handelsaustausch floriert und soll - wie kürzlich beim Staatsbesuch des türkischen Premiers Mesut Yilmaz in Jerusalem vereinbart wurde - in den nächsten beiden Jahren noch verdoppelt werden.  Schon jetzt liegt er bei jährlich einer Milliarde US-Dollar. Nach den Palästinensern sind die Türken für Israel der wichtigste Wirtschaftspartner im gesamten Nahen Osten, wovon zum Gutteil die Rüstungsindustrie profitiert. Der wahrscheinlich lukrativste Deal ist die israelische Aufrüstung türkischer Kampfjets.
Israel und die Türkei betrachten sich gegenseitig als Stabilitätsfaktor in der Region - zumindest hinsichtlich ihrer eigenen Interessen. Am guten Einvernehmen mit einem moslemischen, aber zugleich säkularen und nicht-arabischen Staat, ein Nato-Mitglied noch dazu, ist den Israelis nur gelegen. Zumal die Türkei ein ähnlich weit entwickeltes Industrieland ist, das darüberhinaus über in Nahost besonders kostbare Reserven verfügt, nämlich Wasser. Genau das ist neben der Kurdenfrage das zentrale Element im Konflikt zwischen Ankara und Damaskus.
Und so fühlt sich das isolationistisch agierende Syrien vom guten Einvernehmen zweier seiner Grenznachbarn schlichtweg bedroht. Mit der Türkei im Norden muß es sich eine 877 Kilometer lange Grenze teilen, sieht sich aber zunehmend abhängig vom türkischen Dammbau am Fluß Euphrat, der auch den Syrern das kostbare Wasser liefert. Als Druckmittel gegen die Türken, die irgendwann die Zufuhr abdrehen könnten, unterstützt Syrien die Kurdenpartei PKK. Im Süden wiederum hält Israel nach wie vor die Golanhöhen besetzt. Seitdem die Friedensverhandlungen über deren Rückgabe 1996 unterbrochen wurden, herrscht im israelisch-syrischen Verhältnis erneut Eiszeit. Auch hier setzt Syrien auf indirekten Druck, in dem es der islamistischen Hisbollah logistische Hilfe bietet, die in Südlibanon einen Guerillakrieg gegen israelische Truppen führt.