Berliner Morgenpost, Dienstag, 6. Oktober 1998

Cem Özdemir will Amt des Äusländerbeauftragten

Der türkischstämmige grüne Bundestagsabgeordnete als Vermittler zwischen Deutschen und Türken
BM/kiw Bonn - Zähigkeit zahlt sich aus. Cem Özdemir, grüner Bundestagsabgeordneter türkischer Abstammung, weiß das. Schließlich hatten es seine Eltern, die sich als Gastarbeiter in Deutschland kennenlernten, nicht immer leicht. Und auch der 32jährige Özdemir mußte erst über den zweiten Bildungsweg sein Abitur nachholen, um dann Sozialpädagogik zu studieren - gegen den Widerstand seiner Eltern.
Nun wird Özdemir wieder für sein
Durchhaltevermögen belohnt. Der schwäbelnde «Spätzletürke», wie ihn die «Zeit» einmal nannte, hat gute Chancen, nächster Ausländerbeauftragter der Bundesregierung zu werden. Sein Interesse am Amt hat er gestern in der «Heilbronner Stimme» bekundet. Er wolle sich zwar nicht aufdrängen, sagte er. Doch sei er sicher, mit seiner Biographie einiges bewegen zu können. Deutsche und Nicht-Deutsche müßten sich aufeinander zubewegen. Bereits die letzte Bundesregierung betraute den kleineren Koalitionspartner mit dieser Aufgabe, in Person von Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP).
Ein erstes Ziel auf dem Gebiet der Ausländerpolitik hat Özdemir bereits sicher erreicht. Nach ihrem Wahlsieg hat die SPD dem künftigen Koalitionspartner zugesagt, die Einbürgerung für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zu erleichtern. Für die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts engagiert sich Özdemir seit 1994, als er über die baden-württembergische Landesliste in den Bundestag einzog. Bei der Arbeit im Innenausschuß hatte er sich dann parteiübergreifend Respekt verschafft. In Bonn überzeugte er junge CDU-Abgeordnete und Liberale davon, daß die Hürden bei der Einbürgerung abgebaut werden sollten.  «Nicht-deutsche Kinder, die hier geboren werden, müssen mit dem Gefühl aufwachsen, daß hier ihre Heimat ist», sagte Özdemir. Nur über die Integration könnte religiöser Fundamentalismus unterbunden werden.
So populär Özdemir in Deutschland ist, so umstritten ist er in der Türkei. Zwar lobte man ihn dort als «Vorzeige-Türken» und weil er sich für eine stärkere Anbindung der Türkei an die EU ausgesprochen hatte. Aber er erntete auch viele negative Schlagzeilen, weil er Ankara beispielsweise für die Unterdrückung der Kurden kritisierte. Auch jetzt hat Özdemir wieder gefordert, daß die EU innerhalb eines Zeitraumes von fünf bis zehn Jahren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnimmt. Allerdings müßte Ankara dafür auch bedeutende Fortschritte bei der Demokratisierung machen, sagte er.