Hamburger Abendblatt, 5.10.98

Spannungen zwischen Syrien und der Türkei
Der Funke am Pulverfaß
 

Von FRANK HERRMANN
Ankara/Damaskus - Der Konflikt war programmiert: Seit Jahren knistert es zwischen Syrien und der Türkei. Nun droht eine Eskalation.  Der türkische Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu sprach von „Krieg“. Regierungschef Mesut Yilmaz sagte, die Militärs warteten auf den Befehl zum Angriff. Ägyptens Präsident Husni Mubarak eilte jetzt als Vermittler in die Region.
Der Funke, der das Pulverfaß zum Explodieren bringen könnte, ist der türkische Ärger darüber, daß Syrien die Kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt. Deren Vorsitzender Abdullah „Apo“ Öcalan lebt in Damaskus. Zwar hat die syrische Regierung dies immer bestritten, aber Zeitungen in Ankara veröffentlichten sogar die mutmaßliche Wohnadresse.
Dabei hegt Syrien keinerlei Sympathien für die Kurden. Ein kurdischer Staat im Osten Anatoliens paßt Damaskus nicht ins Konzept, denn dann müßte es einen Dominoeffekt fürchten.  Im Norden und Nordosten Syriens leben mehr als eine Million Kurden. Etliche von ihnen gelten offiziell als staatenlos und haben noch weniger Rechte als ihre Blutsbrüder in der Türkei.
Vielmehr handelt der syrische Präsident Hafis el-Assad nach der orientalischen Devise: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Aus seiner Sicht ist die PKK ein Faustpfand. Er will sie erst dann opfern, wenn Ankara auf seine Forderungen eingeht.
Wichtigster Zankapfel ist der Euphrat. Der Fluß entspringt in der Türkei, fließt durch Syrien und Irak und mündet in den Persischen Golf. Ein völkerrechtliches Abkommen über die Aufteilung des Euphratwassers gibt es nicht - gerade das macht den Streit so gefährlich. 1987 erhielt Damaskus nur eine mündliche Zusage Ankaras, nach der pro Sekunde 500 Kubikmeter über die Grenze fließen. Doch je mehr die als Jahrhundertprojekt gefeierte türkische Staudammkaskade GAP am Oberlauf des Euphrat Gestalt annimmt, desto tiefer werden die Sorgenfalten in Damaskus und Bagdad. Die stromab gelegenen Anrainer fürchten, daß ihnen eines Tages der Hahn zugedreht wird. 2010 soll das GAP-Projekt vollendet sein. Nach Schätzungen dürfte dann ein Drittel weniger über die türkisch-syrische Grenze fließen. Irak könnte sogar vier Fünftel des Zuflusses verlieren.
Umstritten ist auch der Status der Mittelmeerprovinz Hatay. Auf Betreiben Frankreichs und Großbritanniens wurde sie vor dem Zweiten Weltkrieg von Syrien abgetrennt und der Türkei zugeschlagen. Doch Damaskus hat sich nie mit dem Verlust der mehrheitlich von Arabern bewohnten Provinz abgefunden.
Obwohl es nicht an Zündstoff mangelte, köchelte der Konflikt jahrelang auf Sparflamme.  Einen Krieg, so hieß es, würden die Streithähne nicht riskieren, weil keiner ihn gewinnen könnte.  Nun aber hat sich die Kräftebalance geändert. Vor zwei Jahren schloß die Türkei mit Israel ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit.  Seitdem schälen sich immer deutlicher die Umrisse eines neuen Bündnisses im Nahen Osten heraus. Syrien begreift die Allianz als akute Bedrohung.