Stuttgarter Zeitung, 30.10.1998

Letzte Runde im Poker um kaspisches Öl
Die Türkei plädiert für eine Pipeline direkt zum Mittelmeer
Beim Öl-Gipfel in Ankara haben die Staatschefs verhandelt, wie das Öl aus Aserbeidschan künftig auf die Weltmärkte gelangen soll. Die türkische Regierung will eine eigene Pipeline bauen.

Von Astrid Frevel, Istanbul

An einen Öl-Gipfel in Ankara trafen sich Staatschefs aus dem kaspischen Becken und Zentralasiens. Dabei bekundeten die Präsidenten der Türkei, Aserbaidschans, Usbekistan, Georgiens, Kasachstans und der amerikanische Energieminister ihre Untersützung für eine Ölpipeline durch die Türkei. Diese soll das aserbaidschanische Öl aus Baku über Georgien direkt zum türkischen Mittelmeerhafen von Ceyhan bringen.
Die Türkei und die USA werfen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um den Öl-Poker in letzter Minute doch noch zu gewinnen. In wenigen Tagen wird entschieden, über welche Route das kaspische Öl in Zukunft zu den Weltmärkten gelangen soll. Diese Routenwahl liegt zwar bei der Regierung in Baku, da sie aber nicht in der Lage ist die Finanzierung selbst aufzubringen, wird sie sich auf die Empfehlung des Förderkonsortiums (AIOC) stützen. Dieses umfasst zwölf private und staatliche Firmen unter Führung von BP und Amoco. Zur Debatte stehen zwei grundsätzlich verschiedene Varianten. Die eine führt von Baku zu einem der Schwarzmeerhäfen Novorossisk in Russland oder Supsa in Georgien und dann mit Tankern ins Mittelmeer; die andere direkt über eine 1730 Kilometer lange Pipeline von Baku ans Mittelmeer.
Das Förderkonsortium scheint aus wirtschaftlichen Gründen der Variante nach Supsa über eine bestehende Pipeline den Vorzug zu geben. Sinkende Ölpreise und Fördermengen, die unter den Erwartungen liegen, gaben den Ausschlag. Ankara macht gegen diese Lösung vor allem ökologische Bedenken geltend. Man werde keine zusätzlichen Öltanker auf dem Bospurus akzeptieren, sondern im Gegenteil Maßnahmen ergreifen, um diesen Verkehr zu reduzieren, erklärte der türkische Aussenminister Ismail Cem.
Der Bosporus ist eine 31,7 Kilometer lange Meerenge zwischen Europa und Kleinasien, die das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet.  An ihren beiden Ufern erstreckt sich Istanbul mit seinen zwölf Millionen Einwohnern. An der engsten Stelle ist der Bosporus nur 700 Meter breit und mehrere schwer steuerbare Biegungen machen ihn zu einer der gefährlichsten Wasserstrassen. 1997 passierten 51000 Schiffe die Meerenge, davon 4500 Tanker, die 63 Millionen Tonnen Öl mitführten. Bei 13 Tankerbränden verloren in den letzten 40 Jahren 92 Menschen das Leben.
Aus Angst vor Unfällen und Bränden, die zu einer Katastrophe für die Metropole führen könnten, verlangen Umweltschutzgruppen und türkische Politiker strengere Sicherheitsauflagen für den Transit durch den Bosporus. Ein elektronisches Leitsystem, das den Verkehrsfluß automatisch steuern wird, soll im Jahre 2000 den Betrieb aufnehmen.  Die Türkei kann aber nicht beliebig Beschränkungen einführen, denn gemäß der Konvention von Montreux aus dem Jahr 1936 muß dieses wichtige Wasserstrasse für die Schwarzmeer-Anrainer offenstehen.
Neben den ökologischen Gründen sind es natürlich ganz klare wirtschaftliche Interesse, die Ankara bewegen, die Baku-Ceyhan-Lösung zu forcieren. Transitgebühren und Investitionen in Ceyhan versprechen ein Milliarden-Geschäft. Für die USA stehen dagegen strategische Überlegungen im Vordergrund. Zum einen soll der Einfluß Russlands auf die neu entstandenen Staaten der Region zurückgebunden werden und zum andern unterstützen die USA ihren engen Verbündeten, die Türkei, in ihren Bestrebungen eine Brückenfunktion zwischen dem Westen und Zentralasien aufzubauen.