Süddeutsche Zeitung, 1.10.1998
Abkommen zweier Kurden-Clans

Vermittlung der USA vergrätzt die Türkei

Eigentlich gehörten die Amerikaner zu den allerletzten Freunden, welche eine verunsicherte Türkei in einer Welt von Feinden noch besaß. Schließlich hatte Washington, anders als die angeblich so kurzsichtigen Europäer, die bedeutende geostrategische Rolle der Türkei als Brücke zu den rohstoffreichen kaukasischen und zentralasiatischen Staaten anerkannt. Anders als Europa waren die USA aus diesem Grunde auch bereit, über die eine oder andere Menschenrechtsverletzung in Ankara hinwegzublicken.
Alles vorbei: Türkische Massenmedien und Politiker haben erneut das noch immer geschärfte Schwert des Anti-Amerikanismus hervorgeholt. Anlaß war das vorige Woche in Washington unterzeichnete Abkommen zwischen den beiden kurdischen Clanchefs aus Nord-Irak, Dschalal Talabani und Massud Barsani. Die Türkei, voran ihr stellvertretender Premierminister Bülent Ecevit, reagierte darauf in einer Heftigkeit, als wollten sich die USA an der territorialen Integrität der Republik vergreifen.
Angst vor Verlust der Marionette
Ecevit, als Alt-Sozialist mit nationalistischem Anstrich gleich aus zwei Gründen anti-amerikanisch orientiert, unterstellte Washington, in Nord-Irak einen unabhängigen Kurdenstaat errichten zu wollen – mit unwägbaren Folgen für den kurdisch besiedelten Teil der Türkei. Außerdem entdeckte er in dem Abkommen einen Passus, der es der türkischen Armee künftig untersagt, bei der Verfolgung der separatistischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ auf irakischem Territorium zu operieren. Tatsächlich verpflichteten sich Barsani und Talabani mit amerikanischem Segen, Grenzverletzungen jeder Art zu verhindern – „sei es durch Terroristen oder durch andere“.
Washington reagierte auf die Schelte aus Ankara „überrascht und verwirrt“, vielleicht auch deshalb, weil Ecevit gleichsam aus Protest wieder einen Botschafter nach Bagdad entsandte. Nach Ansicht politischer Beobachter zürnt die Türkei auch deshalb, weil ihr mit der Abmachung von Washington ihre kurdische Marionette Barsani abhanden kommen könnte. Der hatte brav stets die türkische Armee im Kampf gegen die PKK unterstützt und sogar den einstigen PKK-Vize Semdin Sakik, der bei ihm Asyl gefunden hatte, an Ankara ausgeliefert.
Irritiert zeigte sich die offizielle Türkei auch, als nicht nur die EU-Staaten, sondern auch die USA das umstrittene Urteil gegen den populären islamistischen Bürgermeister Istanbuls, Recep Tayyip Erdogan, öffentlich rügten. Einmütig entdeckten die Massenmedien darin eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Der angesehene Hürriyet-Kommentator Emin Cölasan ging sogar soweit, die amerikanische Generalkonsulin in Istanbul, Caroline Huggins, in seiner Kolumne ganz persönlich anzugreifen: „Wer glaubst du denn, wer du bist, daß du so etwas sagen kannst?“
Wolfgang Koydl