Main Post Newsline, Donnerstag, 01.10.1998 - Gemünden
 
Kurde Mehmet Demir hofft auf die Anerkennung seines Asylantrages
 

Angst vor der Rückkehr
WOLFSMÜNSTER · Mehmet Demir ist Kurde und derzeit als Asylbewerber im Schloß Wolfsmünster untergebracht.
¤ VON GÜNTHER FELBINGER

Dreimal war er im Gefängnis von türkischen Peinigern in seiner Heimat Kurdistan geschlagen, geprügelt, stundenlang gefoltert worden. Sein Körper zeigt heute, elf Jahre später, noch die Folgen: Narben an Beinen und Rücken.
Am 5.  Oktober 1987 floh er mit seiner Frau und den Kindern nach Deutschland, stellte Asylantrag.  Doch wurde sein Antrag im Januar 1997 negativ beschieden, er sollte abgeschoben werden.  Seiner Abschiebung, die für den 38jährigen Vater von inzwischen sieben Kindern (drei wurden in Deutschland geboren), „den sicheren Tod bedeuten würde“, so Demir, entging er, indem er sich zusammen mit seiner Frau und den Kindern 1997 ins Kirchenasyl nach Niedersachsen rettete.  Dort leben zwei Brüder und zwei Schwestern sowie drei Cousin von ihm bereits als anerkannte Asylanten. Eine Gruppe deutscher Personen hatte ihm und seiner Familie damals geholfen, sich zu verstecken. Diese verschafften ihm auch einen Kölner Rechtsanwalt, der eine erneute Anhörung vor dem Bundesamt für Asylbewerber durchsetzte. Bis zum Ablauf der erneut gewährten Aufenthaltsgenehmigung am 21.  Oktober 1998 regiert bei Familie Demir die Angst.
„Wir können abends kaum schlafen, weil wir Angst haben, erneut abgelehnt zu werden“, sagt die älteste Tochter Zerah Demir in fließendem Deutsch. Sie hat in Gemünden die Schule besucht und hatte bereits eine Ausbildungsstelle als Verkäuferin sicher, als auch sie im vergangenen Dezember - weil sie im Januar 18 Jahre alt werden würde - Deutschland verlassen und abgeschoben werden sollte.
Verfolgt
Angefangen hatte die Verfolgung der Familie Demir in deren Heimatort Mardin, im kurdischen Teil der Türkei im Jahre 1987. Was für Mehmet Demir normal war, Freunde und Bekannte zu sich des öfteren nach Hause einzuladen und ihnen seine Gastfreundschaft anzubieten, sahen die türkischen Polizisten nicht gern, da sie politische Motive dahinter vermuteten.
Irgendwann standen Zivil-Polizisten vor der Haustür, die nach den Namen seiner Gäste fragten. Doch Demir gab seine Freunde nicht preis, wurde verhaftet, ins Gefängnis gebracht, geschlagen, gequält. Demir erzählt: „Manchmal verlangten sie, daß ich eine Stunde auf einem Bein stehen sollte. Wenn ich das nicht schaffte, wurde ich mit einem Riemen geschlagen oder mit Füßen getreten.“ Mit Schimpfwörtern beschimpft, folgten weitere schmerzhafte Folterungen.
Geflüchtet
Insgesamt dreimal wiederholte sich für Demir die Folter im Gefängnis.  Und schließlich entschloß sich Demir zur Flucht. Gegen einen stattlichen Geldbetrag brachten ihn Fluchthelfer nach Istanbul. Gegen eine abermalige Geldzahlung kam seine Familie nach. Von Istanbul aus machte sich Demir auf die Suche nach einem Land „wo Menschenwürde etwas gilt“. Am 5.  Oktober 1987 verließen er und seine Familie die Türkei, flog nach Frankfurt am Main. Es begann für die Familie das Asylaufnahmeverfahren in Deutschland.
In Frankfurt angekommen, wurden ihnen die Pässe abgenommen. Ein Tag war der damals vierfache Familienvater mit fünf anderen Familien in einem 15 Quadratmeter Raum untergebracht. Die personenbezogenen Daten samt Fingerabdrücke wurden aufgenommen. Danach ging es in ein erstes Asylbewerber-Wohnheim in Hessen. Einige Wochen später führte der Weg nach Zirndorf ins dortige Lager, wo man zweieinhalb Monate blieb. Im Februar 1988 kam die Verlegung ins Asylbewerberheim nach Gemünden in der Gartenstraße, wo die Familie rund vier Jahre wohnte.
Vater Demir fand in dieser Zeit eine Vollanstellung bei einem Sägewerk in einem Gemündener Stadtteil. Der Umzug in ein Haus in Wernfeld, wo man wiederum eineinhalb Jahre lebte, stand an. Danach folgte eine Wohnung in der Obertorstraße in Gemünden, wo man drei Jahre und sieben Monate blieb. Der beruflichen Kündigung durch das Sägewerksunternehmen folgte ein Engagement bei einem anderen Werk in einem anderen Stadtteil, ehe im Februar 1997 die Abschiebung verhängt wurde.
Eine weitere Station im Untergrund in Niedersachsen wies den Weg, ehe er nun vor einigen Monaten erneut den Weg zurück in den Main-Spessart-Kreis antrat mit dem Ziel Schloß Wolfsmünster.
Inzwischen sind die Demirs zu neunt. Drei weitere Kinder wurden in Deutschland geboren. Und so wartet man auf das Ergebnis der zweiten Anhörung: Anerkennung und Verbleib in Deutschland oder Abschiebung in die Türkei, verbunden mit einer möglichen erneuten Inhaftierung und Mißhandlung, die zum Tode führen können.
Verängstigt
Die Hoffnung ist klein, denn der bayerische Innenminister Dr.  Günther Beckstein beantwortete jüngst eine Petition des Gemündener evangelischen Geistlichen Traugott Wiesinger mit dem Satz: „Eine Foltergefahr im Heimatland der Familie Demir wurde während des Asylverfahrens eingehend geprüft und konnte nicht bestätigt werden.“ Demir kann darüber nur den Kopf schütteln: „Die Leute hier wissen nicht, was in der Türkei mit den Kurden passiert“, sagt er leise.