junge Welt     01.10.1998

       Keine Antwort aus Ankara
       Türkei: Trotz der Gesten von PKK-Chef Öcalan setzt Regierung auf Gewalt

       Zu Beginn der Woche meldete die türkische Tageszeitung Milliyet, daß PKK-Chef Öcalan auch für das Gebiet im Nordirak, in dem sich seit Jahren
       die von Ankara unterstützte Demokratische Partei Kurdistans (DPK) von Massud Barsani und die PKK bekriegen, einen einseitigen
       Waffenstillstand verkündet habe. Die Zeitung beruft sich auf den kurdischen Sender Med-TV, in dem Öcalan eine entsprechende Erklärung
       abgegeben habe. Nachfragen und die Überprüfung dieser Meldung ergeben jedoch ein etwas anderes Bild.

       Tatsächlich hat Öcalan auch für den Nordirak eine Waffenruhe in Aussicht gestellt und die Bereitschaft der PKK zu einem Waffenstillstand
       bekundet. Allerdings erwartet er von der Gegenseite, von der durch die Türkei untersützten DPK, daß sie sich ebenfalls zu einem solchen Schritt
       entschließt. Das ist aber bis jetzt noch nicht geschehen.

       Damit scheint sich zu wiederholen, was bereits von der türkischen Regierung als Marschroute vorgegeben wurde. Bereits am 28. August hatte
       Öcalan in einer Fernseh- Pressekonferenz in Med-TV angekündigt, daß die kurdische Guerilla ab dem 1. September, dem Weltfriedenstag, einen
       Waffenstillstand erklären werde, der für die kurdischen Gebiete in der Türkei gilt. Nach Angaben Öcalans sollte dieser zum dritten Mal seit Beginn
       der bewaffneten Kämpfe vor fast 15 Jahren einseitig verkündete Waffenstillstand ein erster Schritt sein, um Bedingungen für eine nicht- militärische
       Lösung für Türkisch-Kurdistan zu schaffen.

       Doch die ersten Reaktionen aus Ankara waren erwartungsgemäß ablehnend. Bisher hat die türkische Regierung auf die einseitigen
       Waffenstillstandserklärungen der PKK stets stereotyp reagiert: Mit »Terroristen« gebe es keine Verhandlungen. Es wurde noch stets die
       »militärische Lösung«, die Vernichtung der kurdischen Guerilla, propagiert.

       Damit der diesmal verkündete Waffenstillstand nicht wieder in gewohnten Weise verstreicht und der seit 1984 tobende Krieg in den kurdischen
       Gebieten der Türkei nicht unvermindert weitergeht, forderte Anfang September ein breites Spektrum verschiedener deutscher Organisationen von
       den USA, den europäischen Staaten und nicht zuletzt von der türkischen Regierung, einer politischen Lösung unter Vermittlung Dritter den Weg zu
       ebnen. Eine entsprechende Erklärung, die von dem Dialog-Kreis »Krieg in der Türkei - Die Zeit ist reif für eine politische Lösung« herausgegeben
       wurde, unterzeichneten der Bayerische Flüchtlingsrat, der Bund für Soziale Verteidigung, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der
       Bundeskongreß entwicklungspoltischer Aktionsgruppen, die Kampagne gegen Rüstungsexport, medico international, Pax Christi, Pro Asyl und eine
       Reihe weiterer Gruppen. In der Erklärung heißt es: »Wir fordern die Regierung und den Nationalen Sicherheitsrat der Türkei auf, sich doch noch für
       eine konstruktive, den Krieg deeskalierende Antwort mit dem Ziel einer politischen Lösung des Konflikts zu entscheiden.«

       In der Zwischenzeit hat nach Angaben des Kurdistan- Informations-Zentrums in Köln der PKK-Vorsitzende Öcalan in einer Mitte September
       abgegebenen Erklärung zwar angekündigt, den Waffenstillstand zu beenden, wenn es keine offiziellen Reaktionen der türkischen Seite gebe und die
       »Gegenseite weiter ihre Köpfe in den Sand« stecke. Die daraufhin in verschiedenen Medien verbreitete Nachricht, der Waffenstillstand der PKK
       sei von Öcalan zurückgenommen worden, sei aber falsch. Der einseitige Waffenstillstand habe noch immer Bestand, und die PKK sei weiterhin
       bereit, einer friedlichen Lösung den Weg zu ebnen.

       Thomas W. Klein