Stuttgarter Zeitung  23.9.1998

Der Friede im Nordirak irritiert die Türkei
Nach Vermittlung der USA haben zwei Kurdenführer ihren blutigen Zwist beigelegt

Die Türkei beäugt den Händedruck zwischen zwei Kurdenführern im Nordirak mit Skepsis. Ankara befürchtet, daß dieser Schritt der Anfang zu einem autonomen kurdischen Staat sein könnte.
Von Astrid Frefel, Istanbul

Ein Händedruck, beklatscht von US-Außenministerin Madeleine Albright, besiegelte den neuesten Versuch der beiden verfeindeten Kurdenführer für einen Friedensschluß im Nordirak. Massoud Barzani, der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und Jalal Talabani, der Chef der Patriotischen Union (PUK) unterzeichneten in Washington ein Übereinkommen, das den jahrelangen, blutigen Zwist unter den beiden kurdischen Fraktionen beenden soll.
Aus Ankara gibt es allerdings keinen Applaus für diese Vereinbarung, denn sollte das Kriegsbeil diesmal wirklich begraben werden, würde dies den politischen Bewegungsspielraum der Türkei in diesem Gebiet massiv einschränken. Man wolle zuerst alle Details des Abkommens erörtern, hieß es in der offiziellen Stellungnahme.
Die neue Initiative der USA kam zustande, weil der Friedensprozeß in der Region eingeschlafen war. Unter Vermittlung der Türkei sollte eine Lösung gesucht werden. Da Ankara aber einseitig Partei für die Seite der Demokratischen Partei Kurdistans ergriffen habe, ging der Status als glaubwürdiger Vermittler verloren und damit auch die Möglichkeit, Einfluß auszuüben.
Als Kriterium der Türkei für die Sympathie zu diesen beiden kurdischen Fraktionen gilt immer ihrer Stellung zur PKK. Die PKK benützt den Nordirak als Rückzugsgebiet und unterhält dort verschiedene Lager. Die türkischen Militärs vermuten, daß sich rund 2000 PKK-Kämpfer in den Bergen aufhalten.  Regelmäßig führt die türkische Armee deshalb militärische Operationen in dieser Region aus. In ihrer Übereinkunft haben die KDP und die PUK nun unterstrichen, daß die PKK nicht länger in dieser Gegend bleiben dürfe, sich beide Parteien aber auch gegen jede Grenzverletzung wehren würden. Damit würde auch den Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte ein Riegel vorgeschoben.
Noch beunruhigender für die Türkei sind aber die politischen Vereinbarungen zwischen Barzani und Talabani. Im kommenden Sommer sollen Wahlen für das regionale Parlament in Erbil abgehalten werden. Bis dahin wollen die beiden Gruppen das Gebiet gemeinsam verwalten. Im Rahmen des irakischen Staates genießt der kurdische Norden weitgehende Autonomie. Türkische Beobachter befürchten nun, eine funktionierende Autonomie könnte ein erster Schritt zu einem unabhängigen kurdischen Staat sein.
Aber schon ein autonomes Gebiet in den Grenzen des Iraks könnte den internationalen Druck auf die Türkei erhöhen, nach diesem Muster eine ähnliche Lösung für das Kurdenproblem im eigenen Land zu suchen. Sollte auch der von PKK-Chef Abdullah Öcalan verkündete einseitige Waffenstillstand halten, würde es für Ankara immer schwieriger zu begründen, warum auch jetzt nicht nach politischen Lösungen gesucht wird.