Die Presse Wien 21.9.1998

Konflikt Türkei kontra PKK wieder verschärft
Separatistische Kurden haben eine einseitig erklärte Waffenruhe schon nach zwei Wochen beendet; jetzt wird in Südostanatolien wieder heftig gekämpft.

Von unserem Korrespondenten MARTIN PETER

ISTANBUL.
Gut zwei Wochen hatte die am
1. September einseitig erklärte Waffenruhe der separatistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gedauert. Dann verkündete der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan nach kurzer Zeit auch schon wieder das Ende des Waffenstillstandes. Seither sind bei heftigen Gefechten zwischen PKK-Kämpfern und den türkischen Sicherheitskräften in Südostanatolien wieder Dutzende Menschen getötet worden.
Öcalan hatte sein Angebot vom 1.  September als „historische Chance“ für alle Konfliktparteien angepriesen: „Ähnlich wie in Nordirland muß sich endlich die Vernunft durchsetzen.“ Doch Ankara lehnte das Friedens- und Gesprächsangebot sogleich rundweg ab: „Wir sprechen nicht mit Mördern“, beschied Premier Mesut Yilmaz dem PKK-Führer.
Der neue türkische Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu verlangte von Öcalan die „bedingungslose Kapitulation“. Die Reaktion des Guerilla-Chefs darauf wiederum war, daß er einen „neuen Feldzug gegen den faschistischen türkischen Staat“ ankündigte.
Die Stimmung in der Kurdenfrage hat sich zuletzt wieder deutlich verschärft. In Istanbul wird seit Mitte August den sogenannten Samstagsmüttern, zumeist kurdischen Frauen, deren Männer und Söhne während der Haft verschwunden sind, verboten, ihren Proteststreik abzuhalten. Unter dem Vorwand, mit der PKK „gemeinsame Sache“ zu machen, wurden sie mit Knüppeln von ihrem Versammlungsort vertrieben. Drei Jahre lang hatten sie vergeblich Auskunft über das Schicksal ihrer Angehörigen verlangt.
Schwimmers Bericht
In Izmir wurden zudem fünf schulpflichtige Mädchen sieben Stunden von der Polizei verhört, weil sie für ihre Zeichnungen die Farben rot-grün-gelb verwendeten; die drei Farben gelten als Markenzeichen der separatistischen PKK.
Trotz der wachsenden Spannungen attestiert der provisorische Bericht einer Beobachter-Kommission des Europarates den türkischen Behörden aber einen „fortschreitenden Normalisierungsprozeß“ im kurdischen Südosten. Nach einem Besuch der Provinz Diyarbakir vermerkten der Österreicher Walter Schwimmer und sein ungarischer Ratskollege Andreas Barsony „positive Veränderungen“ seit ihrem letztem Besuch Anfang 1997. Die Untersuchungshaft sei verkürzt worden, und den Angeklagten werde das Recht eingeräumt, Anwälte zu kontaktieren.
Allerdings beklagten die Delegierten aus Straßburg, daß die Antiterrorgesetze den Behörden weiterhin erlaubten, mißliebige Personen willkürlich festzunehmen.  Schwimmer bedauerte zudem, daß Diyarbakirs Zentrum zur Rehabilitierung von Folteropfern geschlossen worden sei.  Damit bestätigte er auch, daß hinter den Kerkermauern der Kurdenmetropole wehrlose Gefangene ungeachtet weltweiter Proteste weiterhin körperlich mißhandelt werden.