Im Blickpunkt: Irakische Kurdenparteien suchen
                   Gemeinsamkeiten

                   Von Gerd Höhler (Athen)

                   Nach jahrelangem Blutvergießen wollen die verfeindeten
                   Kurdenfraktionen in Nordirak ihre Konflikte beilegen. Aber ob das
                   jetzt in Washington geschlossene Abkommen trägt, bleibt ungewiß.

                   "Wir haben ein trauriges Kapitel in der Geschichte des kurdischen Volkes
                   abgeschlossen", sagte Dschalal Talabani, Chef der Patriotischen Union
                   Kurdistans (PUK), am Donnerstag in Washington. Kurz zuvor hatten
                   Talabani und sein Rivale Massud Barsani, Führer der Demokratischen
                   Partei Kurdistans (KDP), eine unter Vermittlung von US-Außenministerin
                   Madeleine Albright ausgehandelten Pakt unterzeichnet. Sie sieht vor, daß
                   die beiden Kurdenfraktionen in den nächsten Monaten "ihre Differenzen
                   beseitigen", wie Albright erklärte. Ziel der Übereinkunft ist es, im
                   kommenden Sommer Wahlen für die kurdische Regionalversammlung in
                   Nordirak zu veranstalten.

                   Talabanis und Barsanis Kämpfer (Peshmerga) liefern sich seit Jahren
                   blutige Gefechte, in deren Verlauf tausende Menschen getötet wurden. Die
                   nordirakische Kurdenregion wurde im Frühjahr 1991 von den Vereinten
                   Nationen zu einer Schutzzone erklärt, die dem militärischen Einfluß
                   Bagdads entzogen ist. Die traditionalistisch ausgerichtete KDP kontrolliert
                   den Nordwesten der Region, einschließlich der Grenze zur Türkei. Sie
                   finanziert sich vorwiegend aus dort kassierten "Zöllen", die
                   Lastwagenfahrer entrichten müssen, die unter Umgehung des gegen Irak
                   verhängten Handelsembargos Treibstoffe aus Nordirak in die Türkei
                   transportieren. Der Südosten der Schutzzone ist unter Kontrolle der mehr
                   westlich orientierten PUK. Die Kurdenführer Talabani und Barsani sind
                   nicht nur persönlich verfeindet; für Konflikte sorgte in den vergangenen
                   Jahren vor allem auch die Aufteilung der an der türkischen Grenze
                   kassierten Gelder, die Barsanis KDP inzwischen in die eigene Tasche
                   steckt.

                   Die jetzt in Washington geschlossene Vereinbarung ist nicht die erste dieser
                   Art. Schon 1992 einigten sich die KDP und die PUK auf eine gemeinsame
                   Verwaltung der Kurden-Schutzzone. Aus den Wahlen zur kurdischen
                   Regionalversammlung im Mai jenen Jahres waren KDP und PUK fast
                   gleichstark hervorgegangen. Doch vor allem Territorialstreitigkeiten und
                   Rivalitäten der Bevölkerungsgruppen ließen schon bald wieder Kämpfe
                   aufflammen. Mehrere in den Jahren danach geschlossene
                   Waffenstillstandsvereinbarungen hielten meist nur wenige Wochen.
                   Welchen Bestand die jetzt getroffene "historische Vereinbarung", so
                   Talabani, haben wird, bleibt vor diesem Hintergrund ungewiß.

                   Washingtons Außenministerin Albright erklärte bei der Unterzeichnung des
                   Abkommens, die USA hätten ein "großes Interesse an der Sicherheit und
                   dem wirtschaftlichen Wohlergehen" der irakischen Kurden;
                   US-Diplomaten räumen aber offen ein, daß der Hauptzweck der
                   Vereinbarung die Schwächung des Regimes in Bagdad sei, dem die
                   Kontrolle über Nordirak dauerhaft entzogen bleiben müsse.

                   Ein Verlierer des Abkommens scheint schon festzustehen: die (türkisch)
                   kurdische Arbeiterpartei PKK, deren Rebellen von nordirakischen
                   Stützpunkten aus operieren. Nach Aussage von US-Diplomaten sind KDP
                   und PUK übereingekommen, dafür zu sorgen, daß die PKK-Kämpfer in
                   Nordirak keinen Unterschlupf mehr finden. Was das angeht, trifft die
                   zwischen Talabani und Barsani unterzeichnete Grundsatzvereinbarung in
                   Ankara auf Zustimmung. Sollte sich das Abkommen jedoch als Keimzelle
                   für einen Kurdenstaat in Nordirak erweisen, so wäre das, mit Blick auf die
                   Autonomiebestrebungen der eigenen kurdischen Volksgruppe, gar nicht
                   nach dem Geschmack der türkischen Politiker.