junge Welt  Interview, 16.09.1998

Die BRD als Vermittler im Kurdistan-Konflikt?

jW sprach mit dem Friedensforscher Andreas Buro

(Koordinator des Dialog-Kreises »Krieg in der Türkei - Die Zeit ist
reif für eine politische Lösung«)

F: Vor zwei Wochen hat der PKK-Vorsitzende Öcalan erklärt, ab
September halte sich die kurdische Guerilla an einen einseitigen
Waffenstillstand. Bisher gibt es nur ablehnende Reaktionen oder
Schweigen aus Ankara. Überrascht Sie das?

Die ablehnende Haltung aus Ankara gegenüber einer politischen Lösung
des türkisch-kurdischen Krieges hat leider eine lange Tradition. Es
gibt aber doch neue Momente: Der türkische Vizepremier Hüsamettin
Cindoruk plädierte am 11. September für einen Neuanfang in der
Kurdenfrage und empfahl Nordirland als Vorbild. Nicht nur von seiten
der Intelligenz und von Basisbewegungen, sondern auch aus der
Wirtschaft verstärkt sich der Druck für eine friedliche Lösung. Ob die
Neubesetzung der Führungspositionen beim türkischen Militär auch ein
Umdenken bedeutet, bleibt abzuwarten.

F: Das ist die dritte Waffenstillstandserklärung der PKK. In den
zurückliegenden Jahren hat die türkische Regierung auf die
»militärische Lösung« gesetzt. Wird das diesmal anders?

Die PKK sagte lange Zeit nicht eindeutig, welches Ziel sie eigentlich
verfolge. Zudem hat sie früher schwere Fehler begangen, als sie
während des Waffenstillstandes unbewaffnete Rekruten aus einem Bus
holte und erschoß. Das blutige Ereignis ist mittlerweile von der
Führung öffentlich verurteilt worden, was ich als Richtungsfestlegung
interpretiere. Außerdem tritt in seiner jüngsten Erklärung PKK-Führer
Öcalan für die volle Souveränität der Türkei ein, wenn den Kurden ihre
- auch international geforderten - Rechte zugestanden werden. Der
Separatismusvorwurf kann also nicht mehr erhoben werden.

F: In einer Erklärung des Dialog-Kreises »Krieg der Türkei- Die Zeit
ist reif für eine politische Lösung«, der sich zahlreiche deutsche
Menschenrechts- und Friedensorganisationen anschlossen, heißt es: »Die
europäischen Staaten und die USA sind gefordert«. Was erwarten Sie von
den USA und Europa?

Diese Staaten handeln, wenn sie den Krieg in der Türkei unterstützen,
gegen ihre eigenen wichtigen und langfristigen Interessen. Zu erinnern
ist auch an die mehrheitlich entschlossene Haltung des Europäischen
Parlaments. Im Rahmen der EU-Beitrittsdebatte ist Bewußtsein über die
Verhältnisse in der Türkei entstanden. Die Anforderungen an Ankara, es
möge erst seine »Hausaufgaben« erledigen, wurde stets auch mit der
Lösung der Kurdenfrage verbunden. Wichtig ist auch die Haltung der
kleineren Länder. Der stellvertretende schwedische Außenminister hat
jüngst erklärt, sein Land könne bei der Lösung der kurdischen Frage
eine Vermittlerrolle spielen.

F: Die Bundesrepublik ist nach den USA der Hauptwaffenlieferant der
Türkei. Hier wurden außerdem, anders als in europäischen
Nachbarländern, verschiedene kurdische Organisationen verboten.
Deutsche und türkische Stellen arbeiten bei Abschiebungen Hand in
Hand. Ist es da nicht zweifelhaft, der Bundesrepublik eine
»Vermittlerrolle« zuzusprechen?

Die deutsche Politik gegenüber der Türkei und den Kurden ist sehr
gespalten und, wie mir scheint, konzeptionslos. Da gibt es die
polizeiliche, innenpolitische und geheimdienstliche Zusammenarbeit.
Man spricht von der NATO-Partnerschaft, als könne die Bundesrepublik
entgegen allen menschenrechtlichen Verpflichtungen guter Partner eines
Landes sein, in dem systematisch gefoltert wird, in dem über drei
Millionen der eigenen Bürger vertrieben und deren Dörfer zerstört
wurden. Man plant mit Ankara im Rahmen des Mauerbaus an der Festung
Europa sogar Flüchtlingslager in der Türkei, damit
Bürgerkriegsflüchtlinge nicht nach Deutschland kommen. Zwar hat der
deutsche Außenminister Kinkel die Türkei immer wieder wegen
Nicht-Erfüllung der »Hausaufgaben« - Kurdenfrage, Meinungsfreiheit,
Rechtsstaatlichkeit, Verletzung der Menschenrechte ... - öffentlich
gerügt. Gleichzeitig liefert Bonn jedoch Rüstungsgüter in erheblichem
Maße, die nachweislich und gegenüber allen fadenscheinigen Dementis
aus Bonn im Krieg gegen die Kurden eingesetzt werden. Eine
Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, ist dringend gefragt.

Interview: Thomas W. Klein, Wiesbaden