junge Welt                       Ausland                      05.09.1998
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    Genscher, Kinkel und die Bonner Rüstungsexportpolitik
    Iran will die »Leichen im Keller« von BRD-Firmen hervorholen
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    Mitte der Woche verkündete ein Justizsprecher in Teheran, daß sein
    Land acht deutsche Firmen vor Gericht stellen will. Um welche
    deutsche Firmen es sich dabei handelt, wurde zunächst noch nicht
    bekannt. Bereits im Juni 1997 hatte Ajatollah Mohammad Jasdi,
    Leiter des iranischen Justizwesens, angekündigt, sein Land werde
    die Chemiewaffenlieferungen an den ehemaligen Kriegsgegner Irak zum
    Gegenstand eines Prozesses machen.

    Erstmals hatte der Iran im Zusammenhang mit dem Berliner
    Mykonos-Prozeß, in dem es u. a. um die Verstrickungen iranischer
    Regierungsvertreter in Terroraktionen gegen oppositionelle
    Politiker im Ausland ging, damit gedroht, die Rolle der Bonner
    Regierung bei den Chemiewaffen- und Giftgaslieferungen zur Sprache
    zu bringen. Zu dieser Zeit war in Teheran davon die Rede, ein
    internationales Gericht anzurufen. Davon scheint Teheran nun
    Abstand zu nehmen. Statt dessen ist ein öffentlicher Prozeß im Iran
    geplant, in dem mehrere hundert Klagen gegen deutsche Firmen
    verhandelt werden sollen.

    Der Sinneswandel könnte damit zusammenhängen, daß die
    Bundesregierung der Anrufung eines internationalen Gerichts hätte
    gelassen entgegensehen können. Schließlich ist wegen Beihilfe zum
    Massen- oder Völkermord bisher noch keine Regierung der Welt durch
    ein internationales Gericht verurteilt worden. Allerdings dürfte
    der gegenwärtigen Regierung daran gelegen sein, dieses Thema zu
    deckeln.

    Schon Ende 1996 wies Regierungssprecher Schmülling jede
    Mitverantwortung der Bundesregierung bei der irakischen
    Giftgasherstellung »entschieden zurück«. Dieser Zurückweisung
    stehen freilich eindeutige Fakten entgegen. Die deutsch-irakische
    Zusammenarbeit während des ersten Golfkrieges hatte Saddam Hussein
    tatsächlich zu einem mit Giftgas ausgestatteten Kriegsherren werden
    lassen: Dabei war vom Bau der C-Waffenfabrik Samarra über
    Ausbildung und Lieferung von Laborgeräten, Klimaanlagen,
    Chemietechnik und den Grundstoffen zur Herstellung von Giftgas
    alles fest in deutscher Hand. Brisant daran ist, daß die
    Bundesregierung anstatt gegen die entsprechenden Firmen - unter
    anderem Karl Kolb, Pilot Plant, Thyssen Rheinstahl und Rhein-Bayern
    Fahrzeugbau - einzuschreiten, trotz entsprechender Informationen
    und diplomatischen Drucks aus Washington den Geschäften jahrelang
    tatenlos zusah. Bereits im Frühjahr 1984 hatte die »New York Times«
    Vorwürfe erhoben, durch die Lieferung von BRD-Firmen sei Irak in
    der Lage, Giftgas zu produzieren. Neben diesen Vorwürfen, die ganz
    offensichtlich von hohen US-amerikanischen Stellen lanciert wurden,
    um die Bundesregierung nicht nur diplomatisch, sondern auch
    öffentlich unter Druck zu setzen und zum Handeln zu bewegen, gab es
    weitere, eindeutige Hinweise.

    Die britische BBC zitierte z. B. in einem Fernsehbericht westliche
    Geheimdienste, wonach es sich bei einigen Anlagen im Irak klar um
    Fabriken zur Herstellung von Chemiewaffen handelt. Auch hier wurden
    ausdrücklich eine Reihe deutscher Firmen mit der Giftgasproduktion
    des irakischen Regimes in Verbindung gebracht.

    Doch erst im August 1990 wurde die Darmstädter Staatsanwaltschaft
    aktiv und ließ sieben Personen aus dem Kreis der Firmen Karl Kolb
    und W.E.T. verhaften. Bemerkenswerterweise wurden mit dem
    W.E.T.-Mitarbeiter Nazar Al-Kahdi und Peter Leifer zwei ehemalige
    für den Bundesnachrichtendienst (BND) tätige Personen verhaftet.

    Die Rollen des BND, seines ehemaligen Chefs Klaus Kinkel und auch
    die von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher sind in diesem
    Zusammenhang äußerst dubios. Als der Chef der Rhein-Bayern
    Fahrzeugbau, Anton Eyerle, wegen illegaler Lieferungen von
    Raketenzündern und Gegenteilen zur Giftgasherstellung an den Irak
    vor Gericht stand, luden seine Verteidiger den ehemaligen
    Außenminister Genscher und Ex-BND-Chef Kinkel als Zeugen vor. Diese
    sollten bestätigen, daß die »vom BND angeleitete Firma Telemit«, so
    der Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom, »für etwa 100 Millionen
    Mark zum Teil falsch deklarierte Rüstungsgüter mit Wissen und
    Erlaubnis der Bundesregierung an Saddam Hussein geliefert habe«,
    die Bundesregierung über die zweifelhaften Geschäfte deutscher
    Firmen also Kenntnis hatte und die betroffenen Firmen sich in dem
    Glauben wähnten, die Rückendeckung offizieller Stellen zu haben.
    Doch obwohl z. B. die Telemit dem Auswärtigen Amt Dutzende Ersuchen
    um die Unbedenklichkeit von Rüstungsexporten vorlegte, hatte
    Genscher vor Gericht nur eine »blasse Erinnerung«. Und der Beitrag
    des amtierenden Außenministers zur Wahrheitsfindung bestand darin,
    daß er erklärte, er könne nicht ausschließen, das Wort Telemit
    einmal gehört zu haben.

    Möglich, daß nun durch einen Prozeß in Teheran den Erinnerungen
    deutscher Politiker und vor allem denen von Managern einiger
    deutscher Firmen auf die Sprünge geholfen wird. In dem Prozeß
    sollen der Tod von 10 000 Giftgasopfern, die Verletzungen weiterer
    50 000 Menschen und die verhängnisvolle Rolle deutscher Firmen
    behandelt werden. Damit würde unweigerlich ein düsteres Kapitel
    deutscher Rüstungsexportpolitik und die Zusammenarbeit mit dem
    irakischen Regime wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit
    rücken. Und andere Aspekte in dem Prozeß der Wahrheitsfindung als
    »blasse Erinnerungen« dürften auch in den Vordergrund treten.

    Thomas W. Klein