Frankfurter Rundschau, 14.09.1998

    "Türkei hat ein Kurdenproblem"
    Vizepremier will Verhandlungen / PKK zieht Angebot zurück

    Von Gerd Höhler

    ATHEN, 13. September. Erstmals hat ein führender türkischer
    Regierungspolitiker dafür plädiert, die Kurdenfrage auf dem
    Verhandlungsweg zu lösen. "Es führt zu nichts, das Problem zu
    verschleiern", mahnte Hüsamettin Cindoruk am Freitag in einer
    Ansprache vor Unternehmern in Istanbul. Die Rede zur Kurdenfrage
    klang aus dem Mund eines türkischen Regierungspolitikers geradezu
    revolutionär. Die Nordirland-Friedensgespräche, so Cindoruk, könnten
    als Modell für den Neuanfang in der Kurdenpolitik dienen.

    Der wegen seiner Integrität hochangesehene Cindoruk gehörte bis 1996
    der konservativen Partei des Wahren Weges (DYP) an. DYP-Chefin Tansu
    Ciller jagte ihn nach schweren Zerwürfnissen aus der Partei. Er
    gründete die Demokratische Türkei-Partei, die der im vergangenen
    Sommer gebildeten Minderheitskoalition unter Ministerpräsident Mesut
    Yilmaz angehört. Neben dem Sozialdemokraten Bülent Ecevit amtiert
    Cindoruk in der Regierung als Vizepremier.

    Seine jetzt geäußerten Ansichten zur Kurdenfrage stehen allerdings
    in krassem Gegensatz zur offiziellen Linie der Regierung und der
    Militärs in Ankara. Danach gibt es überhaupt kein Kurdenproblem,
    sondern nur ein "Terrorismusproblem".

    Die kurdische Arbeiterpartei PKK, deren Rebellen in der Ost- und
    Südosttürkei für Autonomie kämpfen, zog ihr Ende August
    unterbreitetes Waffenstillstandsangebot zurück. Nachdem die
    türkische Regierung das Angebot nicht angenommen habe, werde die PKK
    nun den bewaffneten Kampf wiederaufnehmen und ihre Angriffe
    verstärken, sagte PKK-Chef Abdullah Öcalan der aus Belgien sendenden
    kurdischen Fernsehstation MED-TV. "Wir haben nichts mehr zu
    verlieren; lieber kämpfe ich, als ein ehrloses Leben zu führen",
    sagte Öcalan.

    Türkische Regierungspolitiker hatten den angebotenen
    Waffenstillstand und die Forderung Öcalans nach Verhandlungen über
    eine politische Lösung der Kurdenfrage zurückgewiesen. Mit einer
    Terrororganisation wie der PKK könne es nie Gespräche geben, teilte
    die Regierung mit.