Frankfurter Rundschau, 16.09.1998

    Menschenrechtler appellieren an Ankara
    Initiativen sehen nach PKK-Erklärung einmalige Chance auf Frieden in der Türkei

    Von Thomas W. Klein

    WIESBADEN, 15. September. In einer gemeinsamen Erklärung unter der
    Losung: "Dem Frieden eine Chance", haben namhafte deutsche
    Friedensinitiativen und Menschenrechtsorganisationen auf die jüngsten
    Entwicklungen in der Türkei reagiert. Nach der Ankündigung des
    PKK-Vorsitzenden Öcalan, einen einseitigen Waffenstillstand
    einzuhalten, bestehe nun die Chance, im türkisch-kurdischen Krieg "die
    Weichen Richtung Frieden zu stellen". Diese Chance dürfe nicht vertan
    werden. Die vom Dialogkreis "Krieg in der Türkei - die Zeit ist reif
    für eine politische Lösung" herausgegebene Erklärung wurde
    unterzeichnet vom Bayerischen Flüchtlingsrat, dem Bund für Soziale
    Verteidigung, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, den
    Kampagnen gegen Rüstungsexport mit Sitz in Bremen und Wiesbaden,
    medico international, Pax Christi, Pro Asyl und weiteren Gruppen.

    Ende August hatte Öcalan im kurdischen Sender MED-TV angekündigt, daß
    die kurdische Guerilla vom 1. September an einen Waffenstillstand
    einhalten werde. Nach Angaben Öcalans sollte dieser zum dritten Mal
    seit Beginn der bewaffneten Kämpfe vor fast 15 Jahren einseitig
    verkündete Waffenstillstand ein "erster Schritt" sein, um Bedingungen
    für eine nichtmilitärische Lösung zu schaffen. Die ersten Reaktionen
    aus Ankara waren erwartungsgemäß ablehnend. Bisher hat die türkische
    Regierung auf solche Erklärungen der PKK stereotyp geantwortet: Mit
    "Terroristen" gebe es keine Verhandlungen. Statt dessen propagierte
    Ankara stets die "militärische Lösung", die Vernichtung der kurdischen
    Guerilla, die nach Angaben aus türkischen Militärkreisen in den
    vergangenen Jahren schon mehrmals unmittelbar bevorstand.

    Damit der diesmal verkündete Waffenstillstand nicht wieder in
    gewohnter Weise verstreicht, fordern die deutschen Organisationen nun
    von den USA, den europäischen Staaten und nicht zuletzt von der
    türkischen Regierung, einer politischen Lösung unter Vermittlung
    Dritter den Weg zu ebnen. In der Erklärung heißt es: "Wir fordern die
    Regierung und den Nationalen Sicherheitsrat der Türkei auf, sich doch
    noch für eine konstruktive, den Krieg deeskalierende Antwort mit dem
    Ziel einer politischen Lösung des Konflikts zu entscheiden." Als
    Beispiel wird Nord-Irland genannt, das deutlich mache, wie eine
    politische Lösung unter Vermittlung Dritter möglich sei. Die
    Beistandspflicht aller mit der Türkei befreundeten Staaten bestehe
    nicht in der Lieferung weiterer Waffen.

    Inzwischen hat Öcalan nach Angaben des Kurdistan-Informations-Zentrums
    in Köln zwar angekündigt, den Waffenstillstand zu beenden, sollte die
    "Gegenseite weiter ihre Köpfe in den Sand" stecken. Noch aber sei die
    PKK bereit, eine friedlichen Lösung auszuhandeln.