aus uz, unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 35                                     28. August 1998

Kurdische Flüchtlinge
Ablehnung von Asylanträgen
Anläßlich der zunehmenden Tendenz, die innerstaatliche Wanderung von kurdischen Flüchtlingen zu verweigern, erklärten die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke und der PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf:
Die Ablehnung von Asylanträgen und die darauf folgenden Abschiebungen von kurdischen und türkischen Flüchtlingen in die Türkei erfolgen meist unter Verweis auf eine unterstellte „innertürkische“ Fluchtmöglichkeit: Wenn zum Beispiel ein kurdischer Flüchtling aus der Türkei darlegt, daß das Dorf, aus dem er stammt, heute inmitten des Kriegsgebietes liegt und womöglich vom Militär zerstört wurde, dann, so viele Urteile, könne sich diese Person in weniger gefährdeten Gebiete in der Türkei niederlassen, zum Beispiel in Istanbul.
Daß diese Unterstellung unmenschlich ist, ist bei Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsverbänden Konsens. In der Realität läuft diese Argumentation darauf hinaus, die Vertreibung der Kurdinnen und Kurden aus ihren Gebieten durch das türkische Militär zu akzeptieren, wenn nicht zu unterstützen. Diese innerstaatliche Fluchtmöglichkeit sieht dann so aus, daß die Vertriebenen in Elendsvierteln am Rand der großen Städte, zum Beispiel Istanbul, quartieren müssen - unter miserablen Lebensbedingungen, mit so gut wie keiner Aussicht auf menschenwürdige Arbeit.
Seit diesem Sommer ist diese Argumentation noch aus einem anderen Grund strikt abzulehnen: In der Türkei wächst die Tendenz, die innerstaatliche Wanderung von kurdischen Flüchtlingen zu verbieten. Erstmals haben Anfang August zwei Gouverneure von Orten an der Schwarzmeerküste verfügt, daß ein Zuzug von Kurdinnen und Kurden in ihre Regionen verwehrt wird. Im vorliegenden Fall geht es um traditionelle Bewegungen von Menschen aus dem kurdischen Gebiet zur Saisonarbeit. Die Feststellung, wer als „Kurde“ zu qualifizieren ist, erfolgte dabei entsprechend des Wohnortes. Vergleichbare Überlegungen zur Einschränkung der Freizügigkeit für die kurdische Bevölkerung werden auch aus Kreisen der Stadtverwaltung von Istanbul übermittelt.
Der Menschenrechtsverein IHD und andere demokratische Gruppen haben gegen diesen offenen Rassismus protestiert, unter anderem mit einer Kundgebung am 12. August in Istanbul, an der die deutsche Delegation teilnahm. Der IHD forderte unter anderem die Absetzung der beiden Gouverneure.  Dabei wurde zu Recht darauf verwiesen, daß die neue Variante großtürkischer Politik in einen gravierenden Konflikt mit den eigenen Grundlagen gerät. Einerseits wird von der selben Seite betont, es gebe kein kurdische Volk, womit auch die kurdische Sprache und Kultur diskriminiert und das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt wird. Andererseits wird nunmehr die Freizügigkeit dieser spezifischen Bevölkerungsgruppe in der Türkei selbst eingeschränkt.
Für die bundesdeutsche Asylrechtspraxis ist die neue Situation in der Türkei ein weiterer Grund für unsere Feststellung: Jede Abschiebung von Kurdinnen und Kurden ist unmenschlich.