DER STANDARD
Donnerstag, 6. August 1998, Seite 4

                                           Es gibt immer nur tote Gegner
 

                      Massive Offensive der türkischen Armee in Ostanatolien nach Angriffen der PKK
 

                                         STANDARD-Korrespondentin Astrid Frefel aus Egirdir
 

     In den praktischen Übungseinsätzen gibt es keinen fiktiven Gegner, sondern immer sind "PKK-Terroristen" die Feinde. Und was hier in Egirdir, einem
     Schul- und Ausbildungscenter der türkischen Armee, trainiert wird, ist ein genaues Abbild der Wirklichkeit im kurdischen Südosten. Sei es im Straßen-
     oder Häuser-Kampf, am Ende gibt es auch in der Übung immer nur tote Gegner, kaum je gefangene und verwundete Feinde. Dieses Szenario
     entspricht den täglichen Verlautbarungen der Armee aus dem Kriegsgebiet, in denen lebend festgenommene PKK-Kämpfer die Ausnahme bilden.

     Und so sind seit Wochenbeginn im Grenzgebiet zum Irak wieder an die zweihundert Menschen getötet worden. Die Armee meldete 165 tote
     PKK-Kämpfer als Zwischenbilanz ihrer jüngsten Großoffensive. Sie ist die Antwort auf einen Angriff der PKK auf einen Grenzposten im vergangenen
     Monat, bei dem 22 Soldaten getötet wurden. In den Provinzen Sirnak und Hakkari ging die Armee auch am Mittwoch weiter massiv gegen die
     kurdischen Rebellen vor. Schätzungsweise 28.000 Menschen wurden seit dem Beginn der Kämpfe vor 14 Jahren getötet.

     "Stark, tapfer, bereit"

     Egirdir ist vom Kriegsschauplatz weit weg, es liegt in Westanatolien, 120 Kilometer nördlich von Antalya. Die hier trainierten Gebirgstruppen haben in
     diesem zerklüfteten Land eine lange Tradition. Heute werden in Egirdir vor allem jene Soldaten ausgebildet, die dann im kurdischen Kriegsgebiet Dienst
     tun. Blutvergießen und den Sieg. Hoch über dem Ausbildungsgelände mit roten und weißen Steinen an den Berghang geschrieben steht weit sichtbar
     das Motto dieser Eliteeinheit: "Stark, tapfer, bereit".

     Wer in Egirdir ist, ist freiwillig hier. Die Anmeldungen übersteigen die Kapazität um das Doppelte. Einziges Aufnahmekriterium ist die körperliche
     Tüchtigkeit. Geistige Wachheit wird nicht geprüft. Die Ausbildung ist breit gefächtert: Training im Wasser, an steilen Kletterfelsen, in tiefen Höhlen und
     Schluchten mit reißenden Bächen; im Winter auch im Schnee. Im Überlebenstraining werden Schlangen gebraten und Fische von Hand gefangen. Dazu
     immer wieder lange Märsche bei Tag und bei Nacht.

     "Wenn wir nicht alle gut trainierte Sportler wären, würden wir diese Strapazen nicht durchstehen", meint einer der Rekruten im Gespräch. Die Frage,
     weshalb sie sich denn freiwillig zu dieser Einheit gemeldet haben, wo doch dieser Dienst mit Sicherheit an die Front führt, beantworten auch seine
     beiden anderen Kollegen am Mittagstisch wie im Chor: "Wenn wir schon Militärdienst leisten müssen, dann wollen wir etwas Sinnvolles für unser Land
     tun."

     Nur ein zweitrangiges Argument ist die Hoffnung eines jungen Tourismusexperten, von dieser Erfahrung später im Beruf profitieren zu können. Vier
     Monate dauert dieses Training, dann folgen vierzehn Monate Einsatz. Eine Lotterie entscheidet, wer in den kurdischen Südosten darf. Jene zehn
     Prozent, die an ruhige Orte verlegt werden, sind bitter enttäuscht.

     Vaterlandsliebe genügt

     Drill, Drill und nochmals Drill heißt das Konzept der Ausbildung. Psychologisch werden die Grenadiere nicht auf ihren Einsatz im Kampfgebiet geschult.
     Das Wissen um die eigene Stärke, die Vaterlandsliebe und die türkische Fahne, das sei genug, um erfolgreich kämpfen zu können, erklärt einer der
     Führungsoffiziere. Nur im Stundenplan der Offiziere sind auch einige Lektionen über Persönlichkeits- und Menschenrechte und den korrekten Umgang
     mit der lokalen Bevölkerung im Krisengebiet vorgesehen.