15. Juni 1998

Mitteilung an die Presse

(2 Seiten)

An die Redaktionen: Internationales, Politik, Frauen, Türkei/ Kurdistan

Betr.: Rundreise der Angehörigen von Verschwundenen (Samstagsmütter) in der Türkei und Kurdistan vom 13. - 28. Juni 1998

Verschwunden aber nicht vergessen - Was wollen die Samstagsmütter in Deutschland?

Eine Delegation von 5 Angehörigen von Verschwundenen aus der Türkei und Kurdistan sind am Abend des 13. Juni 1998 auf dem Flughafen Köln-Bonn eingetroffen. Die 4 Frauen und ein Mann werden in den kommenden zwei Wochen ein umfangreiches Programm absolvieren.

In den nächsten zwei Tagen (15. und 16.6.1998) stehen in Bonn politische Gespräche mit dem Auswärtigen Amt, dem Unterausschuß für Menschenrechte des Deutschen Bundestages, den JungsozialistInnen, den Bundestagsfraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und PDS sowie einem Vertreter des Düsseldorfer Innenministeriums auf der Tagesordnung.

Anliegen der Delegation ist es, von ihren GesprächspartnerInnen Auskunft über deutsches Engagement in Sachen Menschenrechte in der Türkei und Kurdistan zu erhalten. Von bundesdeutscher Seite wurde in den vergangenen Jahren wiederholt versichert, sich über den Verbleib der Verschwundenen zu informieren und für die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei und Kurdistan einzusetzen. Ohne den Krieg in Kurdistan, so eine der Delegationsteilnehmerinnen, könnte es diese Menschenrechtsverletzung in so großem Umfang nicht geben. Daher ist den DelegationsteilnehmerInnen ein besonderes Anliegen, ihre Gesprächspartner zu einem Engagement für ein Ende des Krieges zu bewegen.

Weitere Stationen der Rundreise sind Aachen (16.6.); Düsseldorf (17.6.); Hamburg (18.-20.6.); Berlin (21./22.6.); Leipzig/ Dresden (23./24.6.); München (25.6.); Karlsruhe (25.6.); Stuttgart (25.6.); Frankfurt, incl. Mainz, Wiesbaden (26./27.6.).

Informationen zur Delegation:

Zübeyde Tepe:

Ihr Sohn, Ferhat Tepe, war gerade 19 Jahre alt, als er 1993 von Konterguerillakräften im Stadtzentrum von Bitlis entführt wurde. Ferhat Tepe arbeitete als Journalist bei der - mittlerweile verbotenen - prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem. Nur knapp zwei Wochen später wurde Ferhat Tepe ermordet aufgefunden. Nach Augenzeugenberichten befand er sich mindestens einige Tage lang in der Provinzkommandantur der Gendarmerie in Diyarbakir. Verantwortliche wurden nie gefunden.

Mehmet Karakoc:

Der Bruder von Mehmet Karakoc heißt Ridvan Karakoc und verschwand Ende Februar 1995 spurlos. Seine Leiche wurde drei Monate später, Ende Mai 1995, auf einem Friedhof für unbekannte Tote von Angehörigen identifiziert. Dort war er bereits Anfang März begraben worden. Die Leiche wies offensichtliche Folterspuren auf. Offenbar ist Ridvan Karakoc erdrosselt worden. Verantwortliche wurden nie gefunden.

Koceri Kurt:

Frau Koceri Kurt wurde 1927 geboren. Fünf Söhne hat sie in den letzten Jahren durch den Krieg verloren. Ein Sohn, Abdulkadir Kurt, starb nach Folter in Polizeihaft. Ein weiterer Sohn, Üzeyir Kurt, wurde in ihrem Dorf in der Provinz Agri festgenommen. Das war im Jahr 1994. Frau Kurt muß davon ausgehen, daß ihr Sohn in der Polizeihaft verschwand und ermordet wurde. Ihr Dorf wurde von den Militärkräften vollkommen zerstört. Verantwortliche wurden nie vor Gericht gebracht.

Sekernaz Cakal:

Frau Cakal hat viele Personen ihrer nächsten Verwandschaft durch "Verschwindenlassen in Polizeihaft" verloren. Von den meisten gibt es keine Informationen. Kazim Cacan allerdings wurde, nachdem er in Haft verschwunden war, ermordet aufgefunden. Verantwortliche wurden nie vor Gericht gebracht. Frau Cakal arbeitet heute im Vorstand der (vom Verbot bedrohten) HADEP-Partei in Istanbul.

Hanim Tosun:

Frau Tosun hat fünf Kinder. Ihr Mann, Fehmi Tosun, war 32 Jahre alt, als er im Oktober 1995 vor seiner Haustür im Stadtteil Aksaray, Istanbul, festgenommen wurde. Frau Tosun beobachtete die Festnahme ihres Mann vom Fenster aus. Der älteste Sohn rannte hinunter und versuchte, seinen Vater festzuhalten, vergeblich. Bis heute gibt es keine Informationen über den Verbleib von Fehmi Tosun. Verantwortliche wurden nie vor Gericht gebracht.

Die fünfköpfige Delegation wird im Laufe der kommenden Woche durch eine weitere Angehörige, erweitert: Hatice Toraman:

Ihr Sohn, Hüseyin Toraman, lebte 1991 als Student in Istanbul. Er studierte an der Marmara-Universität Erziehungswissenschaften. Bereits im April 1991 versuchte die Polizei, ihn festzunehmen. Da er nicht zu Hause war, mißlang die Festnahme. Im Oktober dann, Hüseyin hatte die Wohnung gewechselt, beobachtete seine Frau Güley, wie ihr Mann, der kurz etwas einkaufen wollte, auf der Straße in ein Auto gezerrt und entführt wurde. Doch bei keiner Polizeistation, bei der die Familie noch am gleichen Tag nach ihm fragte, gab es einen Gefangenen Hüseyin Toraman. Ein Jahr später berichtete ein Journalist, der aus der Haft im Folterzentrum von Gayretepe entlassen worden war, er habe in einer Zelle eine leblos am Boden liegende Person gesehen, von er der annehme, es sei Hüseyin Toraman gewesen. Wärter des Gefängnisses, die er aufforderte, einen Arzt zu rufen, hätten ihm gesagt, der sei tot. Die Leiche von Hüseyin Toraman wurde nie gefunden.

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