Neue Luzerner Zeitung, 11.05.2002

EU gibt dem US-Druck nach

Die Kurdische Arbeiterpartei PKK hat seit über zwei Jahren der Gewalt abgeschworen. Trotzdem hat die EU auf US-Druck die Partei auf die Terror-Liste gesetzt.

Seit mehr als zweieinhalb Jahren hält sich die Kurdische Arbeiterpartei PKK im Ringen um die nationalen Rechte des kurdischen Volkes in der Türkei an einen Waffenstillstand. Während sich Tausende Guerillas auf Anordnung des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan aus dem Land zurückzogen, liefern einige wenige andere den türkischen Sicherheitskräften nur dann Gefechte, wenn sie angegriffen werden.

Kampfparolen gestrichen

Wiewohl Ankara seinerseits von Waffenstillstand nichts wissen will, der PKK unverändert den Krieg «bis zur Vernichtung» androht, hat Öcalans Organisation aus ihrem Vokabular die alte kämpferische Rhetorik gestrichen. In ihrer Propaganda, im kurdischen Fernsehen, in diversen Publikationen haben Worte wie «Friede, Versöhnung, Demokratie» im türkischen Staat Begriffe wie «Selbstbestimmungsrecht eines Volkes» oder «Kampf gegen Unterdrückung» vollends verdrängt.

In einem Wort: Die PKK versucht seit Öcalans Verurteilung zum Tode 1999 alles, um die Türkei nicht zu provozieren. Um den Bruch mit der militärisch-kämpferischen Vergangenheit zu besiegeln und damit die ersehnte Integration in die türkische Politik zu erleichtern, hat sie jetzt auch noch ihren Namen geändert (sie heisst nun «Demokratie und Freiheitskongress Kurdistans», Kadek). Ihr bewaffneter Arm nennt sich künftig «Nationale Verteidigungskraft», womit klargestellt ist, dass sich der militärische Kampf ausschliesslich auf Schutz gegen Angriffe - und nicht mehr auf die Durchsetzung nationaler Ziele - beschränkt.

Ansprüche zurückgeschraubt

Von einem unabhängigen kurdischen Staat ist längst nicht mehr die Rede, ja nicht einmal mehr von Autonomie. Einzig kulturelle Rechte, wie die Verwendung der kurdischen Muttersprache in Schulen und im Fernsehen, erfleht die Kadek vom türkischen Staat - ein Recht, das so selbstverständlich ist, dass man darum nicht einmal bitten dürfte, weil es zu den «wesentlichen Grundrechten jedes Menschen» zählt (so der amerikanische Philosoph Noam Chomsky).

Das offizielle Ankara weist all diese Versöhnungsbemühungen unerbittlich zurück, will weder von Amnestie für kurdische Guerillas etwas hören noch von Schulunterricht in Kurdisch und wehrt sich heftig gegen das Drängen der EU, ein privates kurdisches Fernsehen zuzulassen, geschweige denn Kadek als politische Partei zu akzeptieren. Vielmehr wird ein Verfahren zum Verbot von Hadep (der «Volks-Demokratie-Partei») vorangetrieben, um dem kurdischen Volk auch in einer türkischen Demokratie jede - gewaltlose - politische Repräsentanz zu nehmen. Hadep könnte nach einer jüngsten Umfrage in den Kurdengebieten bei Wahlen 80 Prozent der Stimmen gewinnen - eine Aussicht, die Ankara Unbehagen bereitet.

Ankara fürchtet Kurden

So sehr das türkische Regime und Establishment die PKK, Gewalt und Krieg fürchten, so sehr fürchten sie die Kurden als Volk, das Anspruch hat, wie alle anderen Völker, auf Grundrechte des Menschen. Jüngste Äusserungen türkischer Führer beweisen dies allzu deutlich: So bezeichnete der mächtige, von Generälen dominierte Nationale Sicherheitsrat jüngst die Forderung kurdischer Studenten nach Unterricht in ihrer Muttersprache als «subversiven Akt», während kurdische Kulturinstitutionen geschlossen und verbales Eintreten für kulturelle Rechte der Kurden unvermindert mit Gefängnis bestraft werden.

Beunruhigender Entscheid

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Europäischen Union, die PKK auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen, zutiefst beunruhigend. Einerseits entbehrt sie jeder Logik, da die PKK seit zweieinhalb Jahren glaubhaft alles tut, um sich vom Makel des Terrors zu befreien. Somit liess sich die EU nicht von Fakten leiten, sondern von politischen Zweckmässigkeiten. Jene Beobachter, die seit den Terrorakten vom 11. September in den USA befürchten, Grundrechte von Menschen und Völkern könnten in dem nun alles dominierenden, von den USA geführten Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf der Strecke bleiben, haben noch mehr Anlass zur Sorge.

Gefallen für Ankara

Es besteht kein Zweifel, dass sich die EU wieder amerikanischem Druck beugte. Sie hat ihre Terrorliste der amerikanischen angepasst, auf der die PKK bereits steht. Seit langem drängt Ankara die EU, dasselbe zu tun. Washington liegt heute mehr denn je daran, Ankara bei Laune zu halten. Im Anti-Terror-Krieg kommt der Türkei eine zentrale strategische Rolle zu, nun auch als Führerin der internationalen Friedenstruppe in Afghanistan. Für solche Dienste wollen die Türken belohnt werden, nicht zuletzt auch, indem die EU nicht allzu energisch auf die Achtung von Minderheitenrechten pocht und schon gar nicht den Namen «Kurden» in offiziellen Dokumenten erwähnt. Auf der Strecke bleiben wieder einmal - wie so oft in der Geschichte - die Kurden.

BIRGIT CERHA, NIKOSIA