Yedinci Gündem, 04.05.2002

Einstellung im Fall Wolf

Cengiz Kapmaz / Istanbul

Im Falle der deutschen Staatsbürgerin und PKK-Guerillera Andrea Wolf, die in einem Gefecht lebend gefangen genommen und von Militärs getötet worden war, hatte der Staatsanwalt von Catak, Raif Bikmaz, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Staatsanwalt Bekir Toprak jedoch, der auf Anweisung von Bikmaz die Akten untersucht hat, hat jetzt erklärt, es sei "kein Thema, ob Wolf lebend oder tot gefangen genommen wurde" und entschieden, das Verfahren einzustellen. Die Rechtsanwältin Eren Keskin teilte daraufhin mit, es sei bekannt, wo sich das Grab Wolfs befinde und sie habe bei einem höhergestellten Gericht Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt.

Nachdem Andrea Wolf am 23. Oktober 1998 in der Nähe des Dorfes Keles im Kreis Catal bei Van im Rahmen einer Operation gefangen genommen und hingerichtet worden war, hatte die Rechtsanwältin Eren Keskin Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Catak gestellt. Daraufhin war von Staatsanwalt Raif Bikmaz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Bikmaz stellte Untersuchungen darüber an, ob Wolf ermordet wurde oder nicht. Zur Untersuchung herangezogen wurden auch die vor dem Staatssicherheitsgericht gemachten Aussagen von PKK'lern, die bei der Operation gefangen genommen worden waren. Nachdem Bikmaz versetzt worden war, übernahm Staatsanwalt Bekir Toprak den Fall, der jetzt mitteilte, aus den Aussagen der an der Operation Beteiligten und der Untersuchung des Protokolls über den Vorfall habe sich ergeben, dass es kein Thema sei, ob bei der Operation irgendein PKK-Mitglied lebend oder tot gefangen genommen wurde. Toprak entschied, den Fall einzustellen.

Nach diesem Beschluss legte RA Eren Keskin Widerspruch beim Gericht für schwere Strafen ein und teilte mit, nach dem Vorfall sei in Deutschland eine Untersuchungskommission bestehend aus Zivilpersonen und AnwältInnen gebildet worden, die sich an AugenzeugInnen gewendet habe. In den Zeugenaussagen seien die Namen der Personen festgehalten, die bei dem Vorfall gefangen genommen oder getötet worden seien. Die in einer Antwort des Innenministeriums auf eine schriftliche Anfrage genannten Namen deckten sich mit denen, die die Kommission benannt habe. "Wir haben der Staatsanwaltschaft Informationen über den Ort, an dem Wolf begraben ist, gegeben. Entsprechend der Zeugenaussagen haben wir gefordert, dass das Grab geöffnet wird. Die Staatsanwaltschaft hat unsere Forderung jedoch nicht beachtet und das Verfahren eingestellt. Obwohl wir den Ort des Grabes kennen, wurde ohne das Grab zu öffnen auf Einstellung entschieden." In der juristischen Korrespondenz habe sich herausgestellt, dass der Tod von Andrea Wolf nirgendwo offiziell registriert sei. "Der Vorfall ist sehr ernst. Es geht um eine Aussage, die unbedingt untersucht werden muss. Wir wollen in der Türkei selbst zu einem Resultat kommen. Wenn das Strafgericht den Beschluss auf Einstellung nicht aufhebt, werden wir den Fall vor den Europäische Menschenrechtsgerichtshof bringen. Damit wird der Vorfall noch grösser werden. Wenn dies nicht gewollt wird, muss der Fall unverzüglich aufgeklärt werden."

Nachdem die Untersuchungen der in Deutschland von zivilgesellschaftlichen Organisationen gebildeten Kommission ergeben hatten, dass Wolf nach ihrer Gefangennahme durch schwere Folter getötet worden war, hatte die Staatsanwaltschaft am Landgericht Frankfurt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aus den Aussagen der lebend festgenommenen PKK-Mitglieder, die sie sowohl gegenüber deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen als auch gegenüber der Staatsanwaltschaft in Frankfurt abgegeben hatten, war hervorgegangen, dass Wolf nach ihrer Gefangennahme von Militärs nackt ausgezogen wurde, ihre Brüste abgeschnitten und in ihr Geschlechtsorgan und ihren Kopf geschossen worden war. Ihre Mutter Liselotte Wolf hatte sich in der Türkei darum bemüht, den Leichnam ihrer Tochter ausgehändigt zu bekommen.