Özgür Politika, 4. Mai 2002

Selahattin Erdem: Spiel und Lösung

Damals bei den Osmanen sollen Schauspiele sehr geschätzt worden sein. Jetzt muss man eher von den Schauspielen in Europa sprechen. Vielleicht ist es auch richtiger, von den Schauspielen in den USA zu reden. Dieses Schauspiel heisst: imperialistische Politik.

Zur Zeit wird versucht, das Spiel auf dem Rücken des türkischen und kurdischen Volk auszutragen. Falls es nicht gelingt, das zu verhindern, wird es irreparable Ausmaße annehmen. Eben genau so, wie es mit der palästinensischen und jüdischen Gesellschaft gemacht worden ist.

Seit einer Weile bekämpfen sich die palästinensische und die jüdische Gesellschaft mit einer Gewalt, die ein Ausmaß von völliger Verrücktheit angenommen hat. Manche deuten dies als Ausdruck des Hasses, der zwischen den beiden herrscht, andere meinen, es sei die Persönlichkeit Scharons oder Arafats, die die Kämpfe ausgelöst habe. Einige glauben, das palästinensische Volk wolle seine Errungenschaften verteidigen, andere wiederum denken, es sei die jüdische Gesellschaft, die ihre Vorteile schützen wolle.

In all dem mag ein Stück Wahrheit stecken. Beziehungsweise können das die Palästinenser oder Juden denken. Aber mit Sicherheit ist das nicht die eigentliche Seite der Angelegenheit. Zwei Gesellschaften sind dazu gebracht worden, sich gegenseitig zu bekämpfen. Damit sind sie geschwächt und in noch größere Abhängigkeit von außen gebracht worden. Darauf basierend haben die USA, Europa, Russland, China, die Türkei, Iran, Irak, Syrien und die arabischen Monarchien Politik gemacht und versucht, daraus Profit zu schlagen. Das ist die eigentliche Seite der Angelegenheit. Ein imperialistisches Spiel, das alle ethischen Wertmaßstäbe ad acta legt.

Wie wir wissen, wurde in den Jahren 1998 und 99 versucht, ein ähnliches Spiel in noch gefährlicherer Form in der Türkei auf Kosten des kurdischen und türkischen Volkes zu spielen. Ausdruck dessen war der internationale Komplott gegen den PKK-Vorsitzenden. Mit vereinten Kräften ließ die internationale Reaktion den PKK-Vorsitzenden zu diesem Zweck entführen und in die Türkei ausliefern. Die politischen Kräfte, die in dem Komplott eine Rolle spielten, rechneten mit der Ausschaltung des PKK-Vorsitzenden, sogar mit seinem Tod. Sie hofften, aus den zu erwartenden türkisch-kurdischen Kämpfen, die jedes bisherige Maß überschreiten sollten, politischen Profit zu schlagen. Türken und Kurden sollten sich gegenseitig mit ausufernden Methoden bekämpfen und fertig machen, und davon sollten von den USA über Europa, Russland, China, Griechenland, Iran, die arabischen Länder bis zu den profitgierigen Banden in der Türkei alle profitieren. Natürlich hätten auch die kurdischen Kollaborateure ihren Anteil abbekommen.

Der PKK-Vorsitzende hat dieses gefährliche Spiel verdorben. Er hat den Weg zu demokratischer Befreiung und Einheit für das türkische und kurdische Volk aufgezeigt und eine neue Zukunft für die Türkei entworfen.

Als der PKK-Vorsitzende in Rom war, traf er mit einem Europäer zusammen, der erklärte: "Das alles entspricht genau unserem Spiel, wir können Politik machen, wie wir wollen". Gierig bereiteten sich alle Akteure auf das Spiel vor. Aber der PKK-Vorsitzende zeigte sich als Spielverderber. "Ich spiele nicht mit", sagte er. Damit verhielt er sich - ähnlich wir alle grossen Führer, die aus der Menschheitsgeschichte hervorgegangen sind - voraussehend, klug und entschlossen. Und er zeigte sich entschlossen, die Linie des Friedens und einer demokratischen Lösung weiter zu verfolgen. In der darauf folgenden Zeit sollten die am Komplott beteiligten Kräfte in verschiedener Form versuchen, die PKK erneut zur Gewaltausübung zu provozieren. Aber die PKK ließ sich nicht auf dieses Spiel ein und verfolgte entschlossen den vom PKK-Vorsitzenden aufgezeigten Weg. Und jetzt wird von den Hauptakteuren des internationalen Komplotts versucht, das Spiel mit einem neuen Konzept fortzusetzen. Weil es ihnen nicht gelungen ist, die Kurden zur Gewalt zu provozieren, soll jetzt die Türkei in Kooperation mit den profitgierigen Banden in der Türkei dazu gebracht werden, auf das Spiel einzugehen und Gewalt anzuwenden.

Genau zu einem Zeitpunkt, an dem die PKK grundlegende Veränderungen vollzogen und sich gemäß einer neuen Linie in KADEK verwandelt hat, haben die USA Europa unter Druck gesetzt, die PKK auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Nun handeln die USA nicht so, weil sie die Türkei so gern haben, sondern um sich im Gegenzug die Unterstützung der Türkei bei der bevorstehenden Intervention gegen den Irak zu sichern und das Territorium der Türkei dafür nutzen zu können.

Viel Druck von us-amerikanischer und türkischer Seite ist dabei gar nicht nötig gewesen, denn Europa zeigte sich durchaus gewillt, die PKK und sogar den neugegründeten KADEK auf die Liste zu setzen. Europa hat lange hoffnungsvoll darauf gewartet, dass die PKK erneut zur Gewalt greift. Und als mit dem 8. Parteikongress deutlich wurde, dass die PKK auf Frieden und einer demokratischen Lösung beharren wird, wollte Europa sogar KADEK auf die Liste setzen. Das wahre Gesicht Europas wurde damit deutlich, aber es stecken noch viel gefährlichere Dinge dahinter. Nachdem es nicht gelungen ist, die Kurden zu einem Angriff auf die Türkei zu bewegen und der Komplott nicht aufgegangen ist, wird jetzt auf diese Weise versucht, einen Ausbruch türkisch-kurdischer Kämpfe hervorzurufen. Somit würden einerseits Kurden und Türken ihre Kräfte in einem sinnlosen Krieg verbrauchen und noch stärker in Abhängigkeit vom Ausland geraten, andererseits wäre man mit Verweis auf Krieg und Instabilität die Frage nach einer EU-Mitgliedschaft der Türkei los.

Dass zur Zeit in der Politik ein solches Spiel gespielt wird, ist offensichtlich. Das Spiel wird mit der Türkei gespielt. Bedrohlich ist dieses Szenario für Türken, Kurden und alle, die in der Türkei leben. Ebenso offensichtlich ist, dass es sich um eine imperialistische Politik handelt, die zum Vorteil profitgieriger Kreise verfolgt wird.

Und wird die Türkei sich auf dieses Spiel einlassen? Deutlich ist, dass die Profitbanden alles tun, damit dies geschieht. Für sie bedeutet Krieg Vorteil, aber für die Zukunft der Türkei und alle, die sich außerhalb dieser Banden befinden, einen nicht wiedergutzumachenden Schaden. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass Regierende und Regierte, Zivilisten und Militärs, jeder mit gesundem Menschenverstand mit höchster Aufmerksamkeit und Vorsicht gegen dieses Spiel angeht und es nicht aufgehen lässt. Damit fällt insbesondere den demokratischen, fortschrittlichen und sozialistischen Kreisen eine wichtige Aufgabe zu. Und es handelt sich um eine historische und nicht aufschiebbare Aufgabe.

Doch wie kann das Spiel verdorben werden? Den Weg dahin hat Deniz Gezmis gezeigt, ein grosser Mensch, der gefallen ist für Revolution und Demokratie, als er bei seiner Hinrichtung rief: "Es lebe die Geschwisterlichkeit des türkischen und kurdischen Volkes!"

Und wirklich ist es notwendiger denn je, gegen die von außen aufgedrückten Spiele für die Geschwisterlichkeit der Völker, für Frieden, Demokratie und Freiheit aufzustehen. Für ein geschwisterliches, freies Leben der Individuen und Völker in einer demokratischen Atmosphäre muss eine neue Ethik entwickelt werden. Ausdruck findet das in unseren Gefallenen, in Deniz, Ibrahim, Haki, Ferhat, Karasungur und wie sie alle heißen.

Das türkische und kurdische Volk muss die neue Ethik dieser grossen Gefallenen annehmen, die sie zur Geschwisterlichkeit und Freiheit bringen, und auf dieser Grundlage alle Art von Spielen zu verderben wissen.

In Achtung und Verbundenheit gedenken wir unseren Mai-Gefallenen.