Neue Zürcher Zeitung, 03.05.2002

Die EU erklärt die PKK zur Terrororganisation

Türken und Kurden sind unzufrieden

it. Istanbul, 2. Mai

Nach langjährigem Zögern hat die Europäische Union (EU) am Donnerstag die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) sowie die linksextreme, türkische Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKP-C) offiziell zu Terrororganisationen erklärt und sie in ihre - für alle 15 EU-Mitgliedstaaten gültigen - Terroristenliste aufgenommen. Das bedeutet, dass EU-Länder künftig befugt sind, die Guthaben beider Parteien einzufrieren, deren Büros im EU-Territorium zu schliessen oder mit der Türkei eine Zusammenarbeit zur Bekämpfung dieser Organisationen einzugehen. Damit erfüllt die EU eine Forderung der Türkei, welche im letzten Jahrzehnt immer wieder für heftige Spannungen zwischen Ankara und Brüssel gesorgt hatte. Die Tatsache, dass die EU nicht sofort bereit war, beide Gruppierungen als terroristische Vereinigungen zu anerkennen, veranlasste nämlich Ankara, sich von Europa unverstanden zu fühlen. Türkische Generäle warfen vereinzelt europäischen Regierungen gar vor, den Terror in der Türkei bewusst anzuheizen.

Unerwartete Reaktionen

Entgegen allen Erwartungen fiel die Reaktion Ankaras auf den EU-Entscheid am Donnerstag aber erstaunlich distanziert aus. Der für die EU zuständige Vize-Regierungschef Mesut Yilmaz nannte ihn einen «verspäteten Beschluss», während der Innenminister Rüstü Kazim Yücelen ihn begrüssenswert fand, nur weil dieser «einen Fehler» korrigiere. Die der Armee nahestehende Tageszeitung «Hürriyet» glaubte, dass die Europäer mit der Türkei nach wie vor ein Katz-und-Maus-Spiel spielten. Nichts habe sich verändert, kommentierte die Zeitung, denn die PKK habe auf Anraten der EU ihren Namen verändert.

Fünfzehn Jahre lang führte die PKK im hauptsächlich von Kurden bewohnten Südostanatolien die längste und wohl kostspieligste kurdische Rebellion gegen die Republik Türkei. Nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan 1999 hat die Partei aber den bewaffneten Kampf eingestellt und Anfang letzten Aprils ihren Namen zu «Kurdistans Freiheit- und Demokratiepartei» (Kadek) verändert. Ihre Mitglieder würden sich nur noch mit friedlichen Mitteln für die Rechte der Kurden einsetzen, hiess es damals. Kadek tritt auf der neuen europäischen Terror-liste nicht auf.

Öcalans Bruder erzürnt über die EU

Dennoch reagierte die kurdische Guerilla auf den EU-Entscheid heftig. Europa hätte das ganze kurdische Volk zu Terroristen abgestempelt, erklärte aus den Bergen Nordiraks der Bruder des verhafteten PKK-Führers Osman Öcalan. Wie er dem PKK-nahen Fernsehsender Medya TV erklärte, könne der EU-Entscheid die Türkei dazu ermuntern, Militäroperationen im Nordirak fortzusetzen, was wiederum einen neuen türkisch-kurdischen Krieg mit mehr Opfern als im vorherigen bedeuten würde. Für eine solche Entwicklung würden die Kurden allein Europa verantwortlich machen, sagte er weiter. Seine zornigen Worte deuten darauf hin, dass die Kurden der Türkei nach einer kurzen Öffnung sich wieder von der Aussenwelt, insbesondere von Europa, abschirmen und erneut zu einer introvertierten Bewegung des Nahen Ostens werden. Öcalan drohte indessen auch mit «schmerzhaften» Aktionen auf westeuropäischem Boden.