Yedinci Gündem Online, 29.04.2002

KADEK: Provoziert keinen Krieg!

Der Kongress für Freiheit und Demokratie Kurdistans (KADEK) hat die Bemühungen, die PKK auf die EU-Liste terroristischer Organisationen aufzunehmen, als eine Kriegserklärung gegen das kurdische Volk bewertet. Wie Osman Öcalan als Mitglied des KADEK-Präsidialrates erklärte, handele es sich bei den diesbezüglichen Diskussionen um einen Schritt zur Schaffung eines zweiten Lausanne.

Mit dem ersten Abkommen von Lausanne seien das türkische und das kurdische Volk in einen gegenseitigen Krieg getrieben worden, so Öcalan. Mit dem zweiten Lausanne werde bezweckt, eine demokratische Entwicklung des Mittleren Ostens zu verhindern. "Das kurdische Volk soll als terroristisch erklärt werden. Aber das werden die Kurden niemals akzeptieren. Bei der PKK handelt es sich um den Friedenswillen und das Erbe des kurdischen Volkes." Öcalan verwies darauf, dass während des 15 Jahre andauernden Krieges die PKK nicht von der EU auf die "Terrorliste" gesetzt worden sei. In der momentanen Phase der Veränderung und des Wandels werde dagegen versucht, die PKK auf die Liste aufzunehmen. Damit sei ein neuer Plan ins Leben gerufen worden, der auf die gegenseitige Provokation des türkischen und kurdischen Volkes abziele.

Das erste Abkommen von Lausanne, das am 24. Juli 1923 unterzeichnet worden war, bewertete Öcalan als einen Komplott, der folgendermassen stattgefunden habe: "Der Republik Türkei wurde die Verleugnung und Vernichtung des kurdischen Volkes vorgesetzt. Die Republik richtete sich auf diese Politik ein. Auf der anderen Seite wurden auch die Kurden zum Aufstand aufgestachelt. Und die Kurden fingen verschiedene kleine Aufstände an. Es heisst, dass es 28 Aufstände gegeben hat. Aufstands- und Unterdrückungsbewegungen folgten einander. Als Resultat ergab sich, dass den Kurden jegliche Freiheit genommen wurde und die Republik Türkei ins Stocken geriet, jegliche Entwicklungsmöglichkeit verlor. Die heutige problembeladene Republik ist das Werk dieser Politik. Insofern war das Abkommen von Lausanne im wesentlichen kein Abkommen, dass die Türkei stärkte und ihr zur Entwicklung verhalf, sondern im Gegenteil eines, das sie schwächte. Ein Abkommen, dass Kurden und Türken gegeneinander aufhetzte, das eine gegenseitige Schwächung ermöglichte und ihre Dynamik zerstörte. In diesem Sinne handelt es sich bei dem Abkommen von Lausanne um einen Komplott gegen das kurdische Volk und über das kurdische Volk gegen die Republik Türkei."

Der zweite Lausanne-Komplott

KADEK-Präsidialratsmitglied Osman Öcalan betonte weiterhin, dass die Völker und in erster Linie das kurdische Volk jetzt mit einem zweiten Abkommen von Lausanne konfrontiert seien. "Die Aufnahme der PKK auf die ‚Terrorliste' bedeutet, ein zweites Lausanne ins Leben zu rufen", so Öcalan. Dabei sei es kein Zufall, dass diese Diskussionen zu einer Zeit auftauchten, in der die PKK ihren 8. Kongress abgehalten habe. Es werde damit versucht, das Demokratisierungsprogramm des KADEK ins Leere laufen zu lassen.

Der KADEK solle mit einem zweiten Lausanne ins Abseits des Demokratisierungsprozesses des kurdischen Volkes und der Türkei gestossen werden. "Wir wissen, dass die Kurden zur Zeit von Lausanne weit zurück lagen, sie waren unorganisiert und konnten ihre politische Existenz nicht präsentieren. Die heutigen Kurden haben mit dem Kampf der PKK ihren Freiheitswillen und ihr Freiheitserbe geschaffen. Gewisse europäische Kräfte wollen ein zweites Lausanne auf die Agenda bringen. Was sie der Türkei vorsetzen, ist folgendes: ‚Löse die kurdische Frage nicht, sondern mühe dich weiterhin damit ab'. Trotz allen Bemühungen des kurdischen Volkes nehmen sie eine geradezu provozierende Haltung ein. Und das sind die EU-Länder, die doch immer von Demokratie sprechen. Es sieht für uns so aus, dass sie Demokratie lediglich für sich selbst passend finden. Die außereuropäischen Länder sind der Demokratie nicht würdig. Überall in der außereuropäischen Welt und insbesondere im Mittleren Osten soll es weiter übelste Diktaturen geben, und durch die Hand dieser Diktaturen wollen sie ihre Profite sichern."

Verantwortlich für Krieg wird die EU sein

Die Initiativen für die Aufnahme der PKK auf die "Terrorliste" der EU komme einer Zustimmung zu einem Angriff auf die kurdische Befreiungsbewegung gleich, so der KADEK-Präsidialrat, der Europa dazu aufrief, von derartigen Schritten, die einen neuen Krieg ermöglichen könnten, abzusehen. Als verantwortlich für einen möglichen Krieg werde Europa betrachtet werden. Öcalan sprach folgende Warnung aus: "Mit der Aufnahme der kurdischen Befreiungsbewegung leitet ihr einen neuen Krieg ein, und der Krieg wird diesmal Hunderttausenden das Leben kosten. In den vergangenen 15 Kriegsjahren haben 35 000 Menschen ihr Leben verloren und eine um vielfaches größere Anzahl hat bleibende Schäden davongetragen. Es hat grosse materielle und ideelle Verluste für das kurdische und das türkische Volk gegeben, aber die Verluste eines neuen Krieges werden die alten um weites übertreffen. Wir machen Europa dafür verantwortlich. Ich unterstreiche ein weiteres Mal vor aller Augen, verantwortlich für einen ausbrechenden Krieg werden die EU-Länder sein. Das kurdische Volk muss Europa als verantwortlich für den Krieg ansehen. Hinter dieser Angelegenheit stecken auch die USA. Der Republik Türkei teilen wir folgendes mit: wenn es zu eurem Vorteil sein sollte, fangt einen neuen Krieg an, aber mit Sicherheit ist es nicht Krieg, der zum Nutzen der Türken ist, sondern Frieden."

Widerstand bis zum äußersten

Osman Öcalan kündigte auch die kurdische Haltung im Falle einer Aufnahme der PKK auf die "Terrorliste" an. Notwendigenfalls seien die Kurden auch bereit zum Krieg. Falls es Krieg gebe, werde vom Verteidigungsrecht Gebrauch gemacht werden. Das kurdische Volk rief er auf, sich "gegen jede Art von Angriff gegen den Willen des Volkes auf einen massenhaften Widerstand" vorzubereiten.

Falls die Initiativen gegen die PKK fortgesetzt würden, würden die Kurden jede offizielle Beziehung zu den EU-Ländern abbrechen. "Wenn wir in einer derartig gespannten Zeit einem Test unterzogen werden, werden wir nicht davor zurückschrecken. Niemand sollte vergessen, dass wir Apoisten sind. Als PKK haben wir einen historischen Prozess durchlebt und jetzt sind wir KADEK. Aber es gibt eine Seite an uns, die sich nicht geändert hat: zu PKK-Zeiten waren wir Apoisten und wir sind es heute noch. Wir sind bereit für den Frieden, aber wenn uns unsere Freiheit genommen werden soll, sind wir auch bereit zum äußersten Widerstand. Darauf muss jeder vorbereitet sein. Die entsprechenden Vorbereitungen müssen getroffen werden. Die Aufnahme in die Terrorliste wird als Entscheidung zum Krieg aufgefasst werden und wir werden uns auf der Grundlage der Selbstverteidigung auf den allergrößten Widerstand vorbereiten. Niemand sollte auf den Irrtum reinfallen, dass die kurdische Befreiungsbewegung ebenso unterdrückt werden könne, wie das palästinensische Volk von Scharon unterdrückt wird. Die PKK ist keine PLO. Die PKK bleibt nicht aufgrund irgendwelcher Stützen auf den Beinen, sondern sie ist überall im kurdischen Volk stationiert. In den Bergen und Städten, überall auf der Welt. Wenn ein Krieg notwendig ist, um zur richtigen Annäherung an das kurdische Volk zu kommen, werden wir nicht davor zurückschrecken."

‚Wir akzeptieren die Bezeichnung Terrorismus niemals'

Weiter teilte Osman Öcalan mit, von kurdischer Seite aus werde es nicht zugelassen werden, dass die Freiheitsbestrebungen des kurdischen Volkes als terroristisch bezeichnet werden. EU, USA und Türkei sollten von ihrer gefährlichen Politik Abstand nehmen. "Terrorismus können wir nicht akzeptieren. Wir werden damit sozusagen einem neuen Krieg ausgesetzt. Aber falls ein Krieg notwendig ist, um unsere Freiheit und unsere Würde nicht zu verlieren, dann machen wir das auch. Wir ziehen niemals den Krieg vor. Was wir wollen, sind Frieden und Demokratie, die Lösung der Probleme in einem demokratischen System. Aber wir teilen auch mit, dass das kurdische Volk die Kraft für einen Widerstand hat, der die ganze Welt dazu bringen kann, ihr Tun zu bereuen."