Özgür Politika, 22.02.2002

SELAHATTIN ERDEM:

Muttersprachlicher Unterricht und Medien

Parallel zur Kampagne von Studierenden und Erziehungsberechtigten findet eine öffentliche Diskussion zu Kurdischunterricht und kurdischen Medien statt.

Auch der EU-Vertreter Verheugen ist in die Diskussion eingestiegen. In bezug auf die kurdische Sprache hat er erklärt, dass die Kopenhagener Kriterien das Recht auf muttersprachlichen Unterricht und Medien miteinschliessen und dieses Recht eine undiskutierbare Beitrittsbedingung ist.

Die Antwort von Premierminister Ecevit auf diese EU-Verlautbarung liess nicht lange auf sich warten. Ecevit teilte in bezug auf die kurdische Sprache mit, dass Fremdsprachen im türkischen Ausbildungssystems nichts zu suchen hätten. Dagegen sei es durchaus möglich, zum Thema kurdische Medien eine etwas "elastischere" Haltung zu zeigen.

Daraus lässt sich schliessen, dass nach Meinung von Ecevit kurdisch in die Kategorie Fremdsprache fällt. Das mag für Ecevit selbst stimmen, aber wie kann kurdisch für ein kurdisches Kind, für einen in der Türkei lebenden kurdischen Menschen eine Fremdsprache sein? Kein Kurde in der Türkei käme auf die Idee, türkisch für Ecevit zur Fremdsprache zu erklären. Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen der Festlegung des Türkischen als Muttersprache der Kurden sowie des Kurdischen als Fremdsprache und grundlegenden Menschenrechten, zeitgemässer Demokratie oder logischem Denken?

Auch Ecevits Ankündigung, kurdische Medien seien ein Thema, das möglicherweise eine biegsamere Haltung zulasse, weckt Zweifel. Denn jetzt gerade wurde der Fernsehsender GÜN-TV vom der Regierung Ecevits unterstehenden RTÜK wegen des Abspielens kurdischer Musik für ganze 365 Tage geschlossen. In der Türkei wird jeden Tag jede Musik in jeder Sprache gemacht, aber das Abspielen von Musik in der Sprache der Kurden, die zu den Gründern der Republik Türkei gehören, führt zu Schliessungen. Wenn also das die konkrete Praxis ist, was ist dann der konkrete Wert der Ansicht von Premierminister Ecevit, dass kurdische Veröffentlichungen möglich sein können?

Und die Erklärungen des stellvertretenden Premierministers Mesut Yilmaz, kurdischer Unterricht und kurdische Medien seien ein natürliches Recht, haben sie über die Funktion einer Botschaft an die EU hinaus irgendeine praktische Bedeutung?

Wie auch der IHD-Vorsitzende zum Ausdruck gebracht hat, handelt es sich bei muttersprachlichem Unterricht und muttersprachlichen Veröffentlichungen nicht um ein politisches Recht, sondern um ein grundlegendes und vorrangiges Menschenrecht. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es schon einer Menschenrechtsverletzung gleichkommt, das Thema zu einer politischen Tat zu machen. Und für kurdische Kinder heisst dieses Recht kurdischer Unterricht und kurdische Veröffentlichungen.

Es muss endlich begriffen werden, dass die Forderung kurdischer Kinder nach kurdischem Unterricht kein Seperatismus ist und die Türkei nicht teilen wird. Im Gegenteil ist es seperatistisch, Kurdischsprechen und Kurdischunterricht für kurdische Kinder zu verbieten, und es ist diese Mentalität, die die demokratische Einheit der Türkei schwächt.

Angesichts dieser Realität erinnern die Drohungen des YÖK-Vorsitzenden Kemal Gürgüz, die Kampagne werde nicht unbeantwortet bleiben, mehr als an einen Vorsitzenden einer wissenschaftlichen Einrichtung an die eines Polizeichefs.

Intellektuelle, KünstlerInnen und alle, die in der Türkei leben, müssen die bestehende Situation mit Aufmerksamkeit bewerten. Wenn der Vorsitzende der höchsten wissenschaftlichen Institution die Studierenden bedroht, mit deren Ausbildung er beauftragt ist, und die mit der Regelung von Veröffentlichungen betraute, höchste Institution diese Aufgabe ausführt, indem sie Fernseh- und Radiosender für ein Jahr schliesst, weil sie kurdische Musik gespielt haben, wie kann dann die Türkei Fortschritte in der Demokratisierung machen?