Yedinci Gündem, 2.2.2002

Verhörräume an Gymnasien

Devrim Göktas / Diyarbakir

In Diyarbakir ist der Wunsch nach Kurdisch als Wahlfach zur Phobie im Staat geworden. SchülerInnen werden aus ihren Klassen geholt und im Büro des Direktors von der Polizei verhört. Die Polizei bekommt Räume in den Gymnasien zugewiesen. Nach Verhören an der Schule sind 17 SchülerInnen auf der Polizeizentrale nackt ausgezogen, mit Elektroschocks gefoltert und mit Vergewaltigung bedroht worden. Die Folteropfer sind jetzt in psychologischer Behandlung. Gegen Polizei und Schulleitung haben sie Anzeige gestellt. Im Gegenzug wurden Disziplinarverfahren gegen sie eröffnet.

Die Staatsorgane gehen mit unglaublichen Menschenrechtsverletzungen gegen die Forderung von KurdInnen vor, an Schulen und Universitäten ihre Muttersprache erlernen zu können. Am Atatürk-Gymnasium in Diyarbakir machten sich vergangenen Mittwoch Schulleitung und Polizei auf "Schülerjagd", nachdem an der Schule kleine Flugblätter zum Thema verteilt worden waren. Fünf SchülerInnen wurden aus dem Unterricht geholt und zunächst in der Schulverwaltung verhört. Im Anschluss wurden sie zur Antiterrorabteilung der Polizei gebracht, wo die Verhöre fortgesetzt wurden. L.N., die seit ihrer Folter nicht mehr schlafen kann und sich vor dem Klang von Schritten fürchtet, erzählt folgendes über ihre Erlebnisse:

"Am Mittwoch wurde ich aus dem Unterricht geholt und zwei Stunden lang vom Direktor und zweien seiner Helfer verhört. Später kam die Polizei in den Raum. Nachdem auch sie mich eine Weile verhört hatten, brachten sie mich zur Antiterrorabteilung. Ich wurde in den Verhörraum geholt. Sie wiederholten ständig, ´habt ihr die Flugblätter an der Schule verteilt` und ´gib zu, dass ihr die Forderung nach muttersprachlichem Unterricht unterstützt`.

Immer wenn ich gesagt habe, dass wir es nicht gewesen sind, haben sie mich geschlagen. Ich hatte grosse Angst und wusste nicht, was ich tun soll. Sie verbanden mir die Augen und fragten immer wieder die gleichen Fragen. Als ich wieder verneinte, haben sie mich ausgezogen. Sie bespritzten mich mit einem Hochdruckschlauch mit kaltem Wasser. Dann gaben sie mir Elektroschocks durch die Zehen. Das dauerte schätzungsweise mit Unterbrechungen 15 Minuten an. Ununterbrochen verfluchten und beleidigten sie mich. Sie würgten mich. Später holten sie mich wieder in den Verhörraum und sagten: ´Gib zu, dass die HADEP euch organisiert und ihr die Politisierungsbewegung der PKK unterstützt, dann lassen wir dich laufen`. Ich verneinte und verweigerte die Unterschrift. Da schlugen sie mich wieder. Sie prügelten mit Fäusten auf meinen Kopf ein. Sie sagten, dass sie mich vergewaltigen werden. In dem Moment hatte ich grosse Angst, aber ich habe trotzdem nicht unterschrieben."

´Nachts kann ich nicht schlafen`

Auch D.T. ist wie L.N. gerade mal 17 Jahre alt und wurde von der Polizei gefoltert. Sie erzählt, dass sie nachts nicht schlafen kann, nicht einmal mehr Musik hören kann. Was sie erlebt habe, werde sie ihr Leben lang nicht vergessen, so die Schülerin, die von ihrer Festnahme und Folter folgendes berichtet:

"Auch ich wurde in das Zimmer des Direktors gebracht und eine Zeitlang von meinen Lehrern verhört. Die Polizei, die danach ins Zimmer kam, brachte mich zu Antiterrorabteilung. Sie verbanden mir die Augen und begannen, mich willkürlich zu treten. ´Gib alles zu, sonst vergewaltigen wir dich und du kannst nirgendwo mehr hingehen`, sagten sie. Als ich sagte, ich habe nichts gemacht und weiss von nichts, haben sie an meinen Haaren gezogen und wieder zugetreten.

Nachts um 2 Uhr holten sie mich wieder und machten die gleichen Sachen. Sie wollten, dass ich etwas unterschreibe, was ich nicht lesen durfte. Als ich sagte, dass ich nicht unterschreiben werde, sagten sie, ´wir werfen dich ins Gefängnis und da kommst du nicht mehr raus` und fingen wieder an, mich zu schlagen. Ich hatte grosse Angst. Sie brachten mich schliesslich dazu, eine Aussage zu unterschreiben, in der stand, dass ich zur HADEP gegangen bin und mich dort organisiert habe, an der Schule Parolen gerufen, die Muttersprachenkampagne unterstützt habe und mein Freund L. all die Aktionen gemacht hat. Natürlich habe ich erst beim Staatsanwalt erfahren, was ich alles unterschrieben habe."

Ziel ist HADEP

Auch M.B., 17-jähriger Gymnasialschüler, wurde wie seine MitschülerInnen bei der Polizei gefoltert. "Der Schuldirektor liess mich rufen und sagte, dass er mich im Verdacht habe. Dann wurde ich zur Polizei gebracht und dort verhört. Sie schlugen mich brutal, damit ich eine Aussage unterschreibe, und sagten: ´Schau mal, deine Freunde haben die ganze Schuld dir zugeschoben, mach auch du eine Aussage über sie`. Als ich nicht einwilligte, schlugen sie mich wieder. Weil ich so grosse Angst hatte, habe ich eine Aussage unterschrieben, die ich nicht lesen durfte. Beim Staatsanwalt habe ich erfahren, dass in der Aussage stand, wir hätten uns bei der HADEP organisiert und auf ihren Befehl die Muttersprachenkampagne unterstützt."

Die SchülerInnen haben sich an den IHD gewandt und gegen die Polizisten, von denen sie gefoltert wurden, sowie gegen die Schulleitung Anzeige gestellt.

Polizei an den Gymnasien

Nachdem sich die Unterstützung der Kampagne in Diyarbakir intensiviert hat, sind an vielen Gymnasien Räume für die Polizei bereitgestellt worden, die zivil oder uniformiert die Schulen in Polizeistationen umgewandelt haben Wie bekannt wurde, sind viele SchülerInnen bereits in diesen Räumen verhört worden. An den Schulen herrscht Anspannung. Wie einige GymnasialschülerInnen mitteilten, hat die Polizei in jeder Klasse Agenten platziert. "Sie wollen kontrollieren, wer was macht. Wir können dem Unterricht nicht mehr folgen." (...)