Berliner Zeitung, 29.01.2002

TÜRKEI

Studenten wollen kurdisch lernen

Günther Seufert

ISTANBUL, 28. Januar. In den letzten Monaten haben Studenten an vielen Universitäten der Türkei Anträge abgeben, in denen sie die Einführung des Wahlfaches "Kurdisch" wünschen. Im Oktober letzten Jahres hatte das türkische Parlament dies mit einer Verfassungsänderung möglich gemacht. Seither ist im Grundgesetz Kurdisch nicht mehr eine "per Gesetz verbotenen Sprache" - und die Türkei hat eine weitere Bedingung für ihren avisierten Beitritt zur EU erfüllt.

Die Aktion zur Einführung des Wahlfachs startete in Diyarbakir, wo bis heute 1 560 Anträge eingereicht wurden, und griff anschließend auf die ganze Türkei über. Über 10 000 Studenten haben bisher Anträge eingereicht. Und an Schulen reichen immer mehr Eltern Petitionen ein, in denen Kurdisch als Schulfach gefordert wird.

Die Reaktion des Staates zeigt, dass man mit diesen Folgen der Verfassungsänderung nicht gerechnet hat. So beschuldigt ein Bericht der Polizeidirektion in Ankara die Antragsteller, in Abstimmung mit der PKK zu handeln. Hinter der an sich harmlosen Forderung verstecke sich die Absicht, die Türkei zu spalten. Innenminister Rüstü Kazim Yücelen blies ins gleiche Horn: die Antragsteller wollten die "kurdische Identität" in den Vordergrund spielen. Dabei hatte bereits vor 10 Jahren der damalige Ministerpräsident Süleyman Demirel in einer viel beachteten Rede die "kurdische Realität" der Türkei anerkannt.

Mindestens 75 Personen, darunter 46 Studenten wurden wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" sogar in Untersuchungshaft gesteckt, und Hunderte sind vorübergehend festgenommen worden. Die Verfahren werden bei den Staatssicherheitsgerichten geführt. Die Antragsteller werden außerdem für ein oder zwei Semester vom Unterricht ausgeschlossen. Manche sollen jedoch auch auf Dauer relegiert worden sein. Vom Gericht verurteilt worden ist jedoch noch niemand - denn die juristische Seite ist kompliziert: Um den Begriff "Kurdisch" zu vermeiden, sind die Gesetze sehr umständlich formuliert. So hatte auch der bis zum Oktober 2001 geltende Verfassungstext von der "per Gesetz verbotene Sprache" nicht explizit das Kurdische erwähnt. Doch man konnte sich auf das Rundfunkgesetz berufen, das noch heute für Radio- und Fernsehsendungen ausschließlich die Verwendung der türkischen Sprache vorschreibt. Ausnahmen gelten nur für Sprachen, "die zur universellen Kultur und Wissenschaft Beiträge geleistet haben".

Bei seiner Kampagne gegen die Studenten beruft sich der Innenminister auf Artikel 42 der Verfassung: "Keine andere Sprache als Türkisch darf in den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen als Muttersprache türkischer Staatsangehöriger unterrichtet werden."

So verwirrend wie die Rechtslage ist denn auch die Praxis. Kurdische Tonkassetten sind seit Jahren im Handel. Radiostationen jedoch, die Kassetten mit kurdischen Liedern spielen, werden dichtgemacht. Kurdische Bücher sind im Buchladen erhältlich. Die Eröffnung kurdischer Sprachkurse und selbst die Forderung danach, haben Strafverfahren zur Folge. Bei der letzten Verfassungsänderung wurde außerdem das Petitionsrecht ausgeweitet, dessen Nutzung jetzt im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung verfolgt werden soll.