Frankfurter Rundschau, 28.01.2002

Ankaras weiter Weg

Manchmal scheint es, als marschiere die Türkei auf ihrem Weg nach Europa bewusst in die falsche Richtung

Von Gerd Höhler

Arabisch und Englisch, Deutsch und Chinesisch darf an den türkischen Hochschulen gelehrt werden, aber Kurdisch, die Muttersprache von rund zwölf Millionen Türken, bleibt im Erziehungswesen verboten. Und selbst vorsichtige Versuche, das zu ändern, werden kriminalisiert. Jene türkischen Studenten, die nun von ihrem in der Verfassung garantierten Recht Gebrauch machten und mit Petitionen die Zulassung des Kurdischen forderten, müssen mit Strafverfahren rechnen. Die Auseinandersetzung zeigt, wie weit der Weg der Türkei in die EU noch ist.

Zwar verabschiedete das Parlament in Ankara im vorigen Herbst eine Anzahl von Verfassungsänderungen. Aber die Reform blieb hinter den Erwartungen vieler Beobachter zurück. So wurde die Todesstrafe nicht abgeschafft, wie von EU und Europarat seit Jahren gefordert, sondern nur eingeschränkt. Auch bei der jetzt fälligen Umsetzung der Verfassungsänderungen, der Anpassung zahlreicher Strafgesetze, zeigen die türkischen Politiker wenig Reformeifer. Als Bremser betätigen sich vor allem die an der Regierung beteiligten Rechts-Nationalisten. So werden mit der geplanten Novellierung der Strafrechtsparagrafen 159 und 312 selbst nach Einschätzung türkischer Kommentatoren die Einschränkungen der Meinungsfreiheit eher verschärft als gelockert. Seine Partei sei nicht bereit, "die soziale Harmonie und die öffentliche Ordnung" einem "Idealbild demokratischer Werte" zu opfern, erklärt Vize-Premier Devlet Bahceli. Manchmal scheint es, als marschiere die Türkei auf ihrem Weg nach Europa bewusst in die falsche Richtung.