junge Welt, 26.01.2002

Karin Leukefeld

Brief an den Kommissar

Dialog-Kreis fordert Zulassung kurdischer Sprache an türkischen Schulen und Unis

In einem Schreiben an den Kommissar für die EU-Osterweiterung, Günter Verheugen, fordert Prof. Dr. Andreas Buro, Koordinator des Dialog-Kreises, Brüssel solle sich für eine Genehmigung von muttersprachlichem Unterricht in der Türkei einsetzen. Der Dialogkreis »Krieg in der Türkei - Die Zeit ist reif für eine politische Lösung« geht auf eine Initiative von Günter Grass, Jürgen Habermas, Walter und Inge Jens, Margarete Mitscherlich, Horst-Eberhard Richter und anderen zurück und setzt sich seit 1995 für eine türkisch-kurdische Verständigung ein.

Hintergrund des aktuellen Schreibens ist eine landesweite Kampagne von Organisationen der kurdischen Demokratiebewegung in der Türkei, an Schulen und Universitäten die kurdische Sprache zuzulassen. Die türkische Regierung reagiert darauf mit Härte. Mehr als 300 Personen, vor allem Studierende, wurden bisher verhaftet.

Buro fordert, Brüssel müsse gegenüber der Türkei einschreiten. Immerhin wolle das Land Mitglied in der Europäischen Union werden. Die Kampagne für den »kurdischen muttersprachlichen Unterricht« werde im Sinne des »zivilen Ungehorsams« durchgeführt, »wie er in den USA unter Martin Luther King gegen die Rassentrennung entwickelt wurde«, heißt es in dem Brief, der jetzt auszugsweise vom Dialog-Kreis veröffentlicht wurde. Die Kampagne werde »gewaltfrei betrieben«, was angesichts der »zahlreichen gewaltsamen und militärischen Formen der Konfliktaustragung in vielen Teilen der Welt« vorbildlich sei. Bei der Kampagne handele es sich um einen »Kampf für die Durchsetzung von Menschenrechten«.

Scharf wird das Vorgehen des türkischen Innenministers kritisiert, der Behörden und Polizei in einem Rundschreiben angewiesen hatte, gegen die Antragsteller polizeilich vorzugehen. Türkische Politiker nutzten »die Gunst der Stunde«, so Prof. Buro in dem Schreiben an EU-Kommissar Verheugen, »das gewaltfreie menschenrechtliche Begehren auf Unterricht in der Muttersprache in die Nähe von Terrorismus zu rücken«. Weiter heißt es in dem Schreiben, daß »ein Land, in dem solche elementaren Menschenrechte wie muttersprachlicher Unterricht für eine große nationale Minderheit verweigert, ja sogar als terroristisch kriminalisiert werden«, nicht Mitglied der EU werden könne. Diese Art Verständnis von Menschenrechten gefährde »die unabdingbare Toleranz in der multikulturellen Gesellschaft der EU«, so Buro. Die EU müsse in Ankara »politisch intervenieren, ehe Gewalt erneut den Konfliktaustrag bestimmt«.

Die Türkei war bei der EU-Ratssitzung in Helsinki (Dezember 1999) Beitrittskandidat für die EU-Mitgliedschaft geworden. Maßstab für den Beitritt sind die »Kopenhagener Kriterien« über Demokratie, Menschenrechte und wirtschaftliche Entwicklung. Im EU-Kommissionsbericht wurde unter einer Vielzahl kurzfristiger Prioritäten für das Jahr 2001 unter anderem festgehalten, daß in der Türkei »alle rechtlichen Vorschriften, die türkischen Staatsangehörigen den Gebrauch ihrer Muttersprache in Fernsehen und Radio verbieten«, aufgehoben werden müssen. www.dialogkreis.de