Neues Deutschland, 23.01.2002

Türkei: Kurdisch weiter auf dem Index

10000 Anträge von Behörden abgeschmettert

Von Jan Keetman, Istanbul

In der Türkei haben in den letzten Tagen landesweit über 10000 Schüler, Studenten und Eltern Gesuche eingereicht, in denen Unterricht in der Muttersprache, d. h. in Kurdisch gefordert wird.

Wie die Zeitung »Radikal« schreibt, wurden die meisten Anträge erst gar nicht angenommen. Stattdessen gingen die Behörden gegen die Antragsteller vor. 75 von ihnen wurden bisher in Haft genommen, gegen sie soll Anklage wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erhoben werden. Zahlreiche weitere wurden festgenommen und zum Teil wieder freigelassen. Auch ihnen droht eine Anklage.

Nicht nur Polizei und Strafverfolgungsbehörden gehen gegen die Antragsteller vor. Die Marmara-Universität in Istanbul bestellte 200 Studenten, die Gesuche wegen muttersprachlichem Unterricht eingereicht hatten, kurzerhand am Sonntag ein. Barsch wurden sie ausgefragt. Als sie die Universität verlassen wollten, wurden sie von rechten Schlägern überfallen. Vorher waren die Namen der Antragsteller öffentlich ausgehängt worden.

Anfang des Monats gingen die Behörden auch gegen die Verteilung von Kalendern mit Monatsnamen in Türkisch, Englisch und Kurdisch vor. In Hakkari und Van sollen deshalb ebenfalls mehrere Verteiler wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt werden.

Die Behörden sehen hinter den Anträgen auf muttersprachlichen Unterricht ebenso wie hinter den Kalendern eine von der PKK aus dem Ausland gesteuerte Kampagne. In einem Rundschreiben an die Gouverneure und die Gendarmerie wies Innenminister Rüstüm Kazim Yücelen darauf hin, dass nach der Verfassung nur Unterricht in Türkisch erlaubt sei. Mit dem Verweis auf die PKK bügelt die Türkei normalerweise Wünsche nach mehr Freiheiten zum Gebrauch des Kurdischen ab. Andererseits werden in der Türkei legale Organisationen, die sich für solche Rechte einsetzen, immer wieder verboten. In Kürze wird wieder mit einem solchen Verbot gerechnet, diesmal gegen die Partei der Volksdemokratie (HADEP). Ihr wird vorgeworfen, ein Zentrum für separatistische Aktionen zu sein.

Diesmal ist die Situation für die Türkei aber besonders prekär, denn man will in diesem Jahr große Fortschritte bei der Annäherung an die EU machen. Unter den zu erfüllenden Kriterien befindet sich auch die Forderung nach muttersprachlichem Unterricht für Minderheiten.