Basler Zeitung, 19.01.2002

Kurdisch? - Eine ausländische Kampagne!

Die Türkei reagiert mit Härte auf sich in jüngster Zeit häufende Forderungen nach Unterricht in Kurdisch

In den letzten Tagen haben in der ganzen Türkei über 10 000 Schüler, Studenten und Eltern Gesuche eingereicht, in denen Unterricht in ihrer Muttersprache, das heisst in Kurdisch, gefordert wird. Wie aus einer Liste in der Zeitung «Radikal» hervorgeht, wurden die meisten Anträge erst gar nicht angenommen. Stattdessen gingen die Behörden gegen die Antragsteller vor. 75 von ihnen wurden bisher in Haft genommen, gegen sie soll Anklage wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erhoben werden. Zahlreiche weitere wurden festgenommen und zum Teil wieder freigelassen. Auch ihnen droht eine Anklage wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Nicht nur Polizei und Strafverfolgungsbehörden gehen gegen die Antragsteller vor. Die Marmara-Universität in Istanbul bestellte letzte Woche 200 Studenten, die Gesuche um muttersprachlichen Unterricht eingereicht hatten, kurzerhand ein. Barsch wurden sie gefragt, ob sie sich das selber ausgedacht hätten und ob sie noch dazu stünden. Als sie die Universität verlassen wollten, wurden sie von rechten Schlägern überfallen. Vorher waren die Namen der Antragsteller von der Verwaltung öffentlich ausgehängt worden. Anfang des Monats gingen die Behörden auch gegen die Verteilung von Kalendern mit Monatsnamen in Türkisch, Englisch und Kurdisch vor. In den Städten Hakkari und Van sollen deshalb ebenfalls mehrere Verteiler wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt werden. Im November hatte ein Verwaltungsgericht in Ankara das Verbot der Aufführung des Theaterstückes «Die Republik der Verrückten» in kurdischer Sprache bestätigt.

Die Behörden sehen hinter den Anträgen auf muttersprachlichen Unterricht ebenso wie hinter den Kalendern eine von der PKK aus dem Ausland gesteuerte Kampagne. Als Beweis verweisen sie auf 22 kurdische Eltern in Istanbul, die kurdischen Unterricht für ihre Kinder in der Grundschule verlangt hatten. Es habe sich herausgestellt, dass die meisten dieser Eltern gar nicht schreiben könnten, das heisst die Anträge nicht selbst geschrieben hätten. Ausserdem seien bei Hausdurchsuchungen Bilder des gefangenen PKK-Chefs Abdullah Öcalan und Schriften der PKK gefunden worden.

Immer neue Verbote

In einem Rundschreiben an die Gouverneure und die Gendarmerie wies Innenminister Rüstüm Kazim Yücelen darauf hin, dass nach der Verfassung nur Unterricht in Türkisch erlaubt sei. Die Anträge gehörten zu einer Kampagne der PKK zum zivilen Ungehorsam. Mit dem Verweis auf die PKK bügelt die Türkei normalerweise Wünsche nach mehr Freiheiten zum Gebrauch des Kurdischen ab. Andrerseits werden in der Türkei legale Organisationen, die sich für solche Rechte einsetzen, immer wieder verboten. In Kürze wird wieder mit einem solchen Verbot gerechnet, diesmal gegen die Partei der Volksdemokratie (Hadep). Ihr wird vorgeworfen, ein Zentrum für separatistische Aktionen zu sein. Unter diese fallen dann eben auch Forderungen wie die oben genannte.

EU-Annäherung wird gestört

Diesmal ist die Situation für die Türkei aber besonders prekär, denn man will in diesem Jahr grosse Fortschritte bei der Annäherung an die EU machen. Unter den zu erfüllenden Kriterien befindet sich auch die Forderung nach muttersprachlichem Unterricht für Minderheiten. Nun ist man sich in Ankara gar nicht so sicher, ob die Kurden eine Minderheit darstellen oder nicht. Es ist fraglich, ob man damit in Brüssel durchkommt.

Auswirkungen könnten die Vorfälle auch auf die angestrebten Gesetzesänderungen im türkischen Strafrecht haben. Nachdem die Verfassung im September liberalisiert wurde, sind nun weitere Gesetze, insbesondere im Strafrecht, an der Reihe. Darunter fallen auch Paragraphen, die häufig gegen Separatismus angewandt wurden. Angesichts der neuen kurdischen Forderungen könnte man sich ihrer Nützlichkeit wieder besinnen. Von Jan Keetman, Istanbul